Wer das Thema „Gefühle begleiten“ liest, denkt vermutlich daran, wie ein Vater oder eine Mutter ihr Kind dabei unterstützen, einen Wutanfall zu überstehen. Kleiner Spoiler vorneweg: jede:r, die/der hier eine 5-Schritte-Anleitung nach dem Motto „So begleitest Du die Gefühle Deines Kindes und sicherst Dir Deinen eigenen Burnout“ erwartet, soll gleich zu Beginn enttäuscht werden. Das Thema ist umfangreicher und geht tiefer. Die Auseinandersetzung mit den Gefühlen des eigenen Kindes gelingt in meiner Wahrnehmung nur durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen. Und viele von uns stehen da erst am Anfang.

In dem folgenden Beitrag erfährst Du,

  • was Gefühle sind und welche Gefühle es gibt,
  • wie Gefühle entstehen,
  • wie Du Gefühle begleiten kannst, sowohl bei Deinem Kind als auch bei Dir.

 

Was sind Gefühle? Welche Gefühle gibt es?

Gefühle sind ausschließlich subjektiv. Auch wenn ich die Einzige auf diesem Planeten wäre, die Angst vor Spinnen hat, so ist dieses Gefühl für mich greifbar und real, wenn ich eine Spinne sehe. Ergo hat es dadurch seine Daseinsberechtigung. Es ist absolut nicht notwendig, dass jemand dieses Gefühl nachvollziehen oder verstehen kann, damit es wahr oder richtig wird. Das Gefühl ist da. Punkt. Ob schlecht oder gut, spielt auch keine Rolle, denn kein Gefühl kann per se in eine dieser beiden Schubladen gesteckt werden. Was nicht bedeutet, dass ich mich mit meiner Spinnenangst nicht schlecht fühle.

Gefühle haben eine soziale Komponente. Durch sie treten wir in Beziehung – mit uns und unserer Umwelt. Gefühle ermöglichen es, dass wir uns in andere hineinversetzen können. Wenn ich selbst schon mal die geballte Wucht von Wut erlebt habe, bin ich – zumindest theoretisch – in der Lage, nachzuempfinden, wie es einem wütenden 2-jährigen Kind gerade geht. Auch die Traurigkeit, die durch Liebeskummer entsteht, haben wir alle schon mindestens einmal gefühlt.

Gefühle sind angenehm oder unangenehm. Hier möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass das keine Wertung im Sinne von gut oder schlecht ist. Dennoch fühlt sich das Gefühl für uns nach etwas an, eben angenehm oder unangenehm. In der Regel führt es dazu, dass wir etwas tun oder unterlassen. Wenn ich mich bspw. während eines Telefonats mit meiner Freundin über einen Satz von ihr ärgere, kann ich das Telefonat beenden und mich so erst einmal zurückziehen und sammeln oder meine Freundin direkt darauf ansprechen, um ggf. ein Missverständnis aus der Welt zu schaffen. Im zweiten Fall weicht der Ärger dem angenehmen Gefühl der Freude darüber, dass wir eine gute und tragfähige Beziehung haben, in der wir Dinge offen ansprechen können.

Gefühle variieren in ihrer Stärke und Dauer. Manchmal können Gefühle flüchtig sein. Ich freue mich darüber, dass mir jemand die Tür aufgehalten hat. Das ist ein kurzer Moment, der mir ein wohligwarmes Gefühl beschert. Vielleicht denke ich später nochmal kurz dran und freue mich nochmal, aber das war es dann in der Regel. Der oben erwähnte Liebeskummer dürfte uns deutlich länger und intensiver beschäftigen. Wie stark und wie lange wir ein Gefühl empfinden hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Und hier spielt noch etwas anderes mit rein: unsere Erfahrung. Der dritte Liebeskummer ist nicht weniger schmerzhaft, aber wir wissen, dass wir das schon zweimal bewältigt haben und wissen irgendwo im Hinterkopf, dass wir das auch ein drittes Mal schaffen – selbst wenn der Schmerz gerade deutlich überwiegt. Nicht ganz unwichtig ist also, was wir über das Gefühl denken. Dazu kommen wir noch im dritten Teil.

Welche Gefühle gibt es? Mit Wut können die meisten von uns was anfangen. In der Psychologie spricht man von 7 Grundgefühlen des Menschen:

  • Ärger/Wut
  • Angst
  • Ekel
  • Freude
  • Traurigkeit
  • Überraschung
  • Verachtung

Daneben gibt es noch weitere Empfindungen, die wir als Gefühle bezeichnen, wie bspw. Schuld, Scham, Liebe, Glück oder Neid.

 

Wie entstehen Gefühle?

Die Entstehung von Gefühlen lässt sich am besten anhand eines Kreislaufs erklären (siehe Grafik): Eine Situation ruft einen Gedanken hervor, welcher zu einer chemischen Reaktion im Gehirn führt. Die chemische Reaktion erzeugt ein Gefühl in uns.

Kreislauf - Wie Gefühle entstehen

Das Ganze geht meist sehr schnell innerhalb von Millisekunden. Das macht es oft so schwer – wenn wir mit unserer Reaktion hadern – an diesem Punkt anzusetzen und beim nächsten Mal ggf. anders zu reagieren. Selbst, wenn wir theoretisch wissen, dass die Mutter auf dem Spielplatz keinerlei Ahnung von unserem Familienleben hat und nicht weiß, dass das eigene Kind gerade konsequent nahezu jede Nahrung verweigert, reicht eine spitze Bemerkung à la „Ja, man kann seinem Kind schon Quetschies geben, aber gesund ist halt anders.“ und wir gehen innerlich an die Decke. In dem Moment unterscheiden wir Erwachsene uns wenig bis gar nicht vom wütenden 2-jährigen Kind. ;) 

Was ist passiert? Der Kommentar der anderen Mutter (SITUATION) beschädigt mein Selbstbild. In meiner Wahrnehmung bin ich eine fürsorgliche Mutter, die nur das Beste für ihr Kind will. Jetzt fühle ich mich wie eine Versagerin (GEDANKE) und ich werde wütend (GEFÜHL) – in dem Fall vermutlich mehr auf mich als auf die andere Mutter. Und hier zeigt sich eine kleine Irreführung unserer Sprache: Ich FÜHLE mich zwar wie eine Versagerin, das ist aber der Gedanke, der hinter dem Gefühl steckt und nicht das Gefühl selbst.

Also vereinfacht sieht das so aus:

SITUATION = Quetschie-Kommentar der Mutter

GEDANKE = „Ich bin eine schlechte Mutter“ oder „Ich fühle mich wie eine Versagerin als Mutter“

CHEM. REAKTION = (kann ich im Detail nicht beantworten, aber der geile Stoff war´s jetzt nicht)

GEFÜHLE = Wut auf die Mutter und/oder Wut auf mich

Dieser Kreislauf kann sich dann beliebig fortführen und so landen wir in einer Schleife an negativen Gedanken, die unangenehme Gefühle in uns auslösen. Das kann soweit gehen, dass man sich seinen Gefühlen hilflos ausgeliefert fühlt. Zur Erinnerung: diese unangenehmen Gefühle sind per se immer noch nicht schlecht. Es kommt sehr stark darauf an, was wir jetzt aus ihnen machen. 

 

Wie kann ich Gefühle begleiten, bei meinem Kind UND bei mir?

Um Gefühle begleiten zu können, braucht man Zugang zu ihnen – dabei ist erst einmal völlig egal, ob es die eigenen sind oder die unserer Kinder, unserer Freunde etc. Ob und wie wir Zugang bekommen, hängt stark davon ab, was und wie viel die- oder derjenige uns zeigt, die/der diese Gefühle hat.

Interessant: dabei sind wir von unseren eigenen Gefühlen oft weiter entfernt als von denen unserer Mitmenschen. Wir verbergen sie, z.B. um unser Selbstbild aufrecht zu erhalten. Zur Veranschaulichung noch eine weiteres Beispiel: Wenn ich mich selbst als liebevollen und fürsorglichen Vater wahrnehme und sehen möchte, dann fällt es mir vielleicht schwer, die aufkeimende Aggression beim kindlichen Wutanfall anzunehmen. Stattdessen lehne ich sie ab, ignoriere sie. Ein liebevoller Vater darf sowas schließlich nicht fühlen (Servus, Glaubenssatz!). Die Folge: ich werde wütend, auf mich, vielleicht auch auf mein Kind.

Eigentlich schade, wenn man so denkt, denn im bewussten Umgang mit meinen Gefühlen erhalte ich wertvolle Informationen über mich, über meine Mitmenschen und unsere Beziehung zueinander. Oft sind das Informationen, die unser Verstand gerade nicht so auf dem Schirm hatte.

Wie kommt es, dass wir uns beim Umgang mit unseren Gefühlen so schwer tun? Wir Menschen werden ja schließlich mit Gefühlen geboren, d.h. von Anfang können wir Gefühle empfinden. Bei Babys führen diese ersten Gefühle wie bspw. Angst dazu, dass sie weinen. Damit sichern sie ihr Überleben, denn sie wissen ja nicht, dass sich bei Abwesenheit der Eltern kein Säbelzahntiger heranschleichen wird. Schreien als Reaktion auf unangenehme Gefühle funktioniert vielleicht die erste Zeit ganz gut, irgendwann müssen neue Wege her. Das bedeutet, auch wenn Gefühle per se nicht schlecht sind, über den Umgang mit ihnen können wir sehr wohl diskutieren. Und das MÜSSEN wir auch, denn hier sind wir irgendwann mal falsch abgebogen.

Halten wir fest: Wir lernen im Laufe der Zeit erst, mit unseren Gefühlen umzugehen. Das beginnt natürlich schon in der Kindheit und dabei sind wir ganz stark abhängig von unserem unmittelbaren Umfeld (Eltern, ältere Geschwister, Erzieher:innen, Lehrer:innen…). Nicht immer sind die Hilfestellungen, die wir von außen erhalten, wirklich hilfreich. So lernen wir in unserer Gesellschaft in meiner Wahrnehmung immer noch viel zu oft, Gefühle zu kontrollieren, sie nicht offen zu zeigen anstatt sie anzunehmen und zu schauen, was sich dahinter verbirgt. Das wird leider auch immer noch stark an das Geschlecht gekoppelt („Jetzt wein´ doch nicht, du bist ja kein Mädchen!“). So sind die Generationen vor uns aufgewachsen: keine Schwäche zeigen, nicht aufmucken, sich fügen,… – das ist tief in uns drin und ohne Auseinandersetzung damit und Bewusstsein darüber werden wir das auch nicht los und tragen es immer weiter.

Wie ich eingangs schrieb, gelingt die emotionale Begleitung unserer Kinder nur dann, wenn wir uns mit unseren eigenen Gefühlen auseinandersetzen. Wenn ich als Mutter oder Vater Strategien entwickelt habe, wie ich mit meiner Wut umgehe, kann ich sie meinem Kind vorleben und zeigen. Vielleicht übernimmt es sie, vielleicht entwickelt es eigene. Aber es hat deutlich mehr davon als von einem Satz wie „Jetzt reiß´ dich mal zusammen! So schlimm ist das auch wieder nicht.“

An der Stelle ein kleiner, aber wichtiger Hinweis: Es geht nicht darum, dass wir uns so lange selbst optimieren müssen bis kein Wutgefühl mehr da ist. Wir sind Menschen, wir haben Gefühle, angenehme und unangenehme, mal intensiver, mal weniger stark. Das macht uns aus, das bringt uns in Beziehung, zu uns selbst und zu anderen. Es geht darum, dass wir den Mut aufbringen und etwas Offenheit dazu packen und diese Gefühle anschauen. Denn hinter jedem Gefühl steckt ein Bedürfnis, welche befriedigt werden möchte. Es lohnt sich also genauer hinzuschauen!

Die folgenden Schritte können Dir dabei helfen:

  • Nimm Deine Gefühle wahr, im Idealfall in der Situation; wenn das noch nicht geht, dann in der Retrospektive; mit der Zeit gelingt es dann sicher auch direkt.
  • Akzeptiere Deine Gefühle ohne Wertung, versuche also auch nicht, sie mit Logik und Verstand zu „bearbeiten“, ansonsten findest Du Dich schnell in der Gedankenspirale wieder.
  • Schaffe einen Kontext für Deine Gefühle, frage Dich „Was macht mich gerade so traurig? Was bräuchte ich hier und jetzt?“. Das muss nicht zwangsläufig (sofort) erfüllbar sein, allein die Erkenntnis macht in der Regel schon sehr viel mit Dir.

Diese Schritte kannst Du genauso verwenden, wenn es um die Gefühle Deines Kindes geht. Abhängig vom Alter musst Du die Fragen nach dem Kontext einfacher formulieren, aber Kinder können meist recht gut äußern, was sie gerade brauchen – nicht nur durch Worte, auch durch Gesten. Andernfalls kannst Du auch Angebote machen und schauen, worauf Dein Kind eingeht.

Coaching kann hier ein ganz wunderbarer Begleiter sein, v.a. wenn Du den Eindruck hast, dass Du an bestimmte Gefühle in bestimmten Situationen nicht so richtig dran kommst.

Zum Schluss noch drei Impulsfragen, die Dir helfen sollen, mit Deinen Gefühlen bzw. den Gefühlen Deines Kindes in Verbindung zu gehen:

  • Wenn Du an eine bestimmte Situation mit einem für Dich unangenehmen Gefühl denkst: was, glaubst Du, will Dir Dein Gefühl in dem Moment sagen?
  • Welches Gefühl löst negative Gedanken in Dir aus? Was würdest Du gerne stattdessen denken?
  • Was bräuchtest Du, damit Du mit einem angenehmen Gefühl aus der Situation rausgehst?

Und welche Erfahrungen habt Ihr bisher zu dem Thema gemacht? Was fällt Euch leicht, was fällt Euch schwer? Ich freue mich über Eure Kommentare oder Nachrichten.

Bleibt rosa. 
Eure Ramona