Alle Eltern wissen, dass Babys ein großes Bündel voller Bedürfnisse sind, die es recht zeitnah zu befriedigen gilt, denn diese ersten Bedürfnisse sind elementar und sichern dem kleinen Menschen das Überleben. Zudem entsteht darüber die so wichtige Bindung zwischen Eltern und Kind. Nun werden die Babys in erstaunlicher Geschwindigkeit erstaunlich groß und zu den Bedürfnissen gesellen sich die ersten Wünsche. Und plötzlich wird es kompliziert. Worauf soll man unmittelbar reagieren? Was kann warten? Worin zeigt sich der Unterschied zwischen einem Wunsch und einem Bedürfnis? 

Hilfreich wäre eine Art vereinfachtes Ampelsystem, das je nach Äußerung des Kindes sofort unmissverständlich anzeigt, ob es sich nun um ein Bedürfnis oder um einen Wunsch handelt. Wünsche können im Gegensatz zu Bedürfnissen aufgeschoben werden, heißt es. So wüssten man sofort, was warten kann und worauf man als Eltern zeitnah reagieren muss. Gefühlt wollen und brauchen Kinder den ganzen Tag etwas, da wäre sowas schon hilfreich.

Es ist in der Tat nicht immer einfach, genau zu unterscheiden, was ein Wunsch und was ein Bedürfnis ist. Und wenn wir genau hinschauen, sehen wir recht deutlich, dass Beides miteinander zusammenhängt. Im Folgenden der Versuch etwas Klarheit reinzubringen. 

 

Was sind Bedürfnisse?

Bedürfnisse sind universell. Alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse, wenn natürlich nicht immer zur gleichen Zeit. Sie führen dazu, dass wir uns in einer bestimmten Weise verhalten. Einfaches Beispiel (einfach nur in der Theorie, die Praxis sieht manchmal anders aus): Wenn ich müde bin, gehe ich schlafen. Wenn ich Hunger habe, mache ich mir was zu essen usw.

Bedürfnisse sind also die Dinge, die notwendig sind und ohne die wir nicht überleben könnten. Wir alle brauchen Essen, Wasser, Sauerstoff. Etwas weiter gefasst gehören auch Respekt und Liebe dazu, deren Fehlen nicht direkt zum Tod führt, aber die eben dennoch für eine gesunde Entwicklung notwendig sind.

Kinder haben u.a. folgende Grundbedürfnisse:

  • Nahrung
  • Schutz
  • Sicherheit
  • Geborgenheit
  • Beziehung
  • Wertschätzung
  • Freude
  • Gemeinsamkeit
  • Aufmerksamkeit
  • Selbstbestimmung
  • Autonomie

Da können noch andere dazu kommen, das hier sind in meiner Wahrnehmung die wichtigsten. Und allein diese Liste zeigt recht deutlich, dass es bei den Bedürfnissen untereinander schon zu Konflikten kommen kann. Überwiegt das Bedürfnis nach Beziehung oder das nach Autonomie? Wie können beide nebeneinander funktionieren? 

Wer kleine Kinder hat, der kennt solche Situationen: der 2-Jährige will sich selbst Wasser ins Glas schenken (Bedürfnis nach AUTONOMIE), braucht aber in dem Moment die Bestätigung von den Eltern, dass er das schafft, und sucht den Blickkontakt (Bedürfnis nach BEZIEHUNG). Wenn wir in dem Moment hastig – aus Sorge vor demnächst sehr viel Wasser auf dem Tisch – rufen „Vorsicht! Pass auf, dass Du nichts verschüttest!“ und das Kind vor Schreck das ganze Wasser verschüttet, wurden gleich zwei Bedürfnisse nicht erfüllt. Der Junge nimmt in dem Moment mit „Meine Eltern trauen mir das nicht zu.“ und liefert prompt die „Bestätigung“, dass sie recht hatten, weshalb sein Streben nach Autonomie komplett daneben ging. 

Um es noch etwas komplizierter zu machen: wir Eltern haben in dem Moment vielleicht aufgrund unseres Bedürfnisses nach Geborgenheit gehandelt, zu dem z.B. gehört, dass wir an einem schön gedeckten Tisch sitzen, der nicht mit Wasserpfützen übersät ist.

Kommen wir zu den Wünschen.

 

Was sind Wünsche?

Wünsche sind individuell. So können Wünsche z.B. Dinge sein, die man gerne haben möchte – aus den unterschiedlichsten Gründen: um sich besser zu fühlen oder weil sie einem gut gefallen oder weil man sich davon Zuspruch oder Bestätigung durch andere erhofft. Dinge, die wir uns wünschen, sind nicht unbedingt notwendig oder überlebensrelevant. 

Ein eigenes Haus mit Garten zu besitzen ist beispielsweise ein Wunsch. Es ist nicht unbedingt notwendig und auch nicht überlebensrelevant. Und trotzdem ist bei vielen Menschen der Wunsch sehr stark und bringt sie dazu, zu handeln und in dem Fall viel zu investieren: Zeit, Geld, Kraft und vermutlich auch einige Nerven. Woher kommt diese Motivation? Sie kommt daher, dass hinter dem Wunsch ein starkes Bedürfnis steht. In dem Beispiel mit dem Haus könnte es das Bedürfnis nach Geborgenheit sein oder nach Schutz – das Haus als ein Rückzugsort, in dem alle Familienmitglieder sicher und geschützt sind.

Und somit haben wir die Verbindung zwischen Bedürfnissen und Wünschen. Hinter Wünschen stecken sehr oft Bedürfnisse. Sie sind sozusagen Strategien, die wir einsetzen, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Im Idealfall erkennen wir unsere Bedürfnisse, das ist jedoch nicht immer leicht, denn Wünsche können konkret benannt und – vor allem von Kindern – sehr deutlich geäußert werden. ;) Dadurch verstellen sie den Blick auf die dahinter liegenden Bedürfnisse, die meist schwerer zu fassen sind. Wenn der Wunsch erfüllt wird, ist das vielleicht für einen gewissen Zeitraum prima. Es ist aber gut möglich, dass schon der nächste Wunsch kommt, weil das Bedürfnis dahinter nicht erkannt wurde und somit nicht gestillt werden konnte.

Auch hier lässt sich noch eine gewisse Komplexität einbauen, die das Miteinander für uns Menschen durchaus zur Herausforderung werden lässt: das, was wir uns wünschen, kann sehr unterschiedlich und individuell sein, dahinter kann jedoch ein und dasselbe Bedürfnis liegen. Nehmen wir als Beispiel „Aktivitäten am Wochenende“: Der Vater möchte gerne in die Sauna gehen, die Mutter plant lieber eine kleine Wandertour für alle, die Kindern möchten zuhause spielen. Alle wollen sich erholen und von der Woche abschalten. Auf der Ebene der Wünsche werden sie nicht zusammenkommen, auf der Ebene der Bedürfnisse schon.

 

Eine Familie – viele Wünsche, viele Bedürfnisse

Halten wir fest: nicht nur die Kinder haben Wünsche und damit Bedürfnisse, sondern auch wir Eltern. Das zeigt auch das Beispiel oben mit dem verschütteten Wasser, das unserem Bedürfnis nach Geborgenheit bzw. Wohlfühlen zuwider läuft. Und hier liegt die Herausforderung im Familienalltag: zu erkennen, wer welche Wünsche hat, welche Bedürfnisse tatsächlich dahinter liegen und wie man nun all das erfüllt.

Eines ist klar: Es ist sehr schwer, Bedürfnisse gegeneinander abzuwiegen – erst recht natürlich, wenn sie sich uns in Form von Wünschen zeigen. Und selbst wenn wir glasklar alle Bedürfnisse erkennen, auf welcher Grundlage bewerten wir, was mehr zählt: das Bedürfnis des Kindes nach Zuwendung in der Nacht oder das Bedürfnis der Mutter nach Schlaf? Es gilt hier, einen Weg zu finden, wie möglichst viele Bedürfnisse erfüllt werden können. Zu jederzeit alle Bedürfnisse zu erfüllen ist utopisch und führt nur zu unnötigem Frust. Wie der Weg aussieht, kann von Familie zu Familie sehr unterschiedlich sein. Die eine Lösung für alle gibt es nicht, denn in jeder Familie herrschen andere Rahmenbedingungen, sind unterschiedliche Ressourcen verfügbar.

In dem konkreten Beispiel hier wären folgende Möglichkeiten denkbar:

  • Der Vater begleitet das Kind nachts, wenn es aufwacht, so dass die Mutter schlafen kann.
  • Die Eltern wechseln sich ab, die eine Nacht kümmert sich der Vater, die andere die Mutter.
  • Es lassen sich am Tag mehr Situationen schaffen, in denen das Kind Zuwendung bekommt und diese wie ein Tank auffüllen kann. Dadurch wird das Bedürfnis in der Nacht vielleicht weniger und alle bekommen wieder ausreichend Schlaf.

Wie man sehen kann, gibt es viele Ansätze, verschiedene Bedürfnisse zu erfüllen und nicht immer muss das zeitgleich passieren. Auch Bedürfnisse können MAL warten, auch bei Kindern. Wichtig dabei sind zwei Dinge: Erstens, Bedürfnisse sollten nicht zu lange bzw. anhaltend aufgeschoben werden. Zweitens, lasst Eure Kinder nicht allein mit der Wut und der Verzweiflung, die aufkommen, wenn ein Bedürfnis gerade nicht erfüllt werden kann. Denn das Gefühl ist da. Wie Ihr Gefühle begleiten könnt, dazu an anderer Stelle mehr.

Zum Schluss noch drei Impulsfragen, die Euch helfen sollen, Wünsche und Bedürfnisse voneinander zu unterscheiden. Am besten fangt Ihr damit direkt bei Euch selbst an. ;)

  • Was wünsche ich mir gerade?
  • Was will ich mit der Erfüllung dieses Wunsches erreichen?
  • Wie komme ich alternativ an dieses Ziel?

Na, wie ist es bei Euch? Was wünscht Ihr Euch gerade? Und was sagt es darüber aus, was Ihr BRAUCHT?

Bleibt rosa. 
Eure Ramona