„Ein kleiner Klaps hat noch niemandem geschadet.“ Viele von uns kennen solche Sätze, manche von uns haben ihn vielleicht auch schon mal selbst gesagt. Ein Satz, der Gewalt gegenüber Kindern rechtfertigt. Ich be- und verurteile das an dieser Stelle nicht, vor allem nicht ohne die jeweilige Geschichte dahinter zu kennen.
Und das bringt mich zu einem ganz wichtigen Punkt: ich glaube, wir kommen durch dieses Thema nur dann gut durch, wenn wir offen aufeinander zugehen, ohne erhobenen Zeigefinger. Das Thema ist heikel, es kann verstören (ja, das muss es vermutlich auch). Ich werde – so gut es in diesem Rahmen geht – versuchen, möglichst viele Perspektiven zu beleuchten. Wo Euch Licht im Dunkel fehlt, knipst bitte eine Lampe an, in dem ihr kommentiert und mit diskutiert.
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Hier ein kurzer Überblick, was Dich in diesem Beitrag erwartet:
💗 Teil 1 | Was bedeutet gewaltFREI?
💗 Teil 2 | Welche Faktoren begünstigen Gewalt?
💗 Teil 3 | Impulse für ein gewaltfreies Miteinander
Lasst Euch von mir mitnehmen zu einem Thema, das uns alle im ersten Moment abschreckt, über das wir aber sprechen müssen. Nicht nur unseren Kindern zuliebe, natürlich auch uns selbst zuliebe. Denn Gewalt fängt manchmal an Stellen an, auf die wir so gar nicht kommen würden.
Und genau dafür möchte ich ein Bewusstsein schaffen, Euch Impulse mitgeben. Prävention und Aufklärung sind wichtig. Immer noch.
Was bedeutet gewaltFREI?
„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“
So steht es in § 1631 Abs. 2 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) seit 2000, das dem Grundsatz der gewaltfreien Erziehung folgt, der in Art. 19 der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) verankert ist.
Eigentlich alles gesagt, oder? Leider nicht ganz, denn was hier auf den ersten Blick recht klar umschrieben wirkt, ist bei näherer Betrachtung doch nicht immer so greifbar. Deshalb möchte ich das an dieser Stelle näher für Euch beleuchten.
Es lassen sich 4 Formen von Gewalt unterscheiden (für konkrete Beispiele bitte durch das Karussell klicken):
- Körperliche Gewalt
- Seelische Gewalt
- Sexuelle Gewalt
- Vernachlässigung
Was bedeutet also gewaltFREI? Dass ALLE vier Formen in ALL IHREN AUSPRÄGUNGEN kein Thema sind und wir uns nicht darüber unterhalten müssen.
Und doch: unser Alltag sieht manchmal anders aus. Nach einem langen Tag passiert es plötzlich, dass wir unser Kind anschreien, unfair werden und Dinge sagen, die wir hinterher bereuen.
Das passiert, wir sind Menschen. Den erhobenen Zeigefinger spare ich mir, denn wir müssen unsere Augen, Ohren und Herzen jetzt gaaaaanz weit aufsperren.
AUCH KINDER SIND MENSCHEN und haben neben dem o.g. „speziellen Recht“ dieselben Grundrechte wie wir.
Sie können nur nicht selbst dafür einstehen oder kämpfen und brauchen UNS Erwachsene, damit wir das für sie tun. Und wenn wir uns dieser Verantwortung bewusst sind, können wir schauen, was es (nicht) braucht, damit wir diesen gewaltfreien Umgang erreichen.
Schauen wir uns doch einfach mal an, welche Faktoren dazu führen, dass Gewaltfreiheit NICHT gelingt, ok? Immer noch ohne Zeigefinger. Versprochen.
Welche Faktoren begünstigen Gewalt?
Egal, was wir tun, nichts davon findet in einem luftleeren Raum statt, d.h. es gibt immer einen Kontext. Als Coach – und auch dann, wenn ich nicht als Coach unterwegs bin – versuche ich immer, diesen Kontext mit einzubeziehen.
Folgende Fragen stelle ich dann gerne (entweder mir oder meinem Coachee):
❓Was führt zu einem bestimmten Verhalten?
❓Welche positive Absicht steckt dahinter?
❓Wie sieht der Rahmen aus, der dieses Verhalten möglich macht?
Dabei geht es nicht darum, eine Entschuldigung für „schlechtes“ Verhalten zu finden, was auch immer genau das bedeutet, sondern vielmehr darum, zu verstehen, was dazu führen kann. In meiner Wahrnehmung ist das die halbe Miete, weil der Blick frei wird auf ALTERNATIVEN und die Frage: Was wirst du beim nächsten Mal anders machen?
Es soll also nicht die Verantwortung abgegeben werden, sondern jeder Mensch kann nach seinen individuellen Möglichkeiten handlungsfähig bleiben oder wieder werden. Ich glaube, Selbstwirksamkeit kickt richtig gut – bei groß und klein.
Aus diesem Grund fokussiere ich mich auch bei einem schweren Thema wie „Gewalt in der Erziehung“ auf genau das: Wo können wir anders handeln? Und was brauchen wir dafür?
Schauen wir mal, welche Faktoren u.a. eine Rolle spielen:
- Erfahrungen in der eigenen Kindheit. Die Beziehungs- und Bindungserfahrungen, die wir in unserer Kindheit machen, prägen unsere späteren Beziehungen. Das bedeutet NICHT, dass schlechte Erfahrungen automatisch zu schlechten Beziehungen führen müssen. Aber hier findet sich oft der Grund, warum wir keine Alternativen in Betracht ziehen. Wir kennen sie schlicht und ergreifend nicht.
- Selbstbild als Mutter/Vater. Was denken wir eigentlich von uns als Mutter oder Vater? Oft nutzen wir Kategorien wie „gut“ und „schlecht“, wir stellen Erwartungen und Ansprüche an uns selbst, ohne zu schauen, was es genau dafür braucht, damit wir diese erfüllen können und ob es wirklich unsere Erwartungen sind.
- Wissen über Erziehung, Bindung etc. Das, was wir über Erziehung, Bindung, Beziehung usw. heutzutage wissen, hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Ebenso unser Zugang zu diesem Wissen. Und auch hier gilt: Es gibt nicht DEN EINEN richtigen Weg. Dafür sind Familien viel zu verschieden.
Da gibt es natürlich noch mehrere und richtig große Faktoren, z.B. die Strukturen in unserer Gesellschaft, die unser Selbstbild auch stark beeinflussen. Gleichzeitig möchte ich bei dem bleiben, was wir im Einzelnen anpacken können. Ich kann die Gesellschaft allein nicht ändern, Du auch nicht. Aber wir können das zusammen, indem jede:r für sich in ihrem/seinem Wirkungsbereich tätig wird.
Und deshalb schauen wir uns im nächsten Teil ganz konkret, was jede:r von uns für ein gewaltfreies Miteinander tun kann.
Impulse für ein gewaltfreies Miteinander
Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir eine Welt wünschen, in der es keine Gewalt mehr gibt. Weil ich glaube, dass Gewalt – egal, in welcher Form – uns keinen Schritt weiter bringt. Außer vielleicht immer weiter voneinander weg. Dabei sind wir doch am stärksten, wenn wir Dinge miteinander tun.
Wie kann so eine Gewaltfreiheit gelingen?
⭐️ ENTSCHEIDE DICH
Gewaltfreiheit ist zuallererst eine Entscheidung, die wir jeden Tag aufs Neue treffen können. Auch denn, wenn wir gestern unser Kind angeschrien haben. Wir fühlen uns in dem Moment vielleicht in einer Sackgasse, sind wir nicht. Wir können uns immer wieder neu entscheiden.
⭐️ SEI GUT ZU DIR
Auf die Frage, wo Gewaltfreiheit beginnt, gibt es eigentlich nur eine Antwort: bei uns selbst. Wenn wir uns z.B. immer wieder Vorwürfe machen, weil wir angeblich eine schlechte Mutter/ein schlechter Vater sind, behandeln wir uns selbst schlecht. Viel hilfreicher ist es zu schauen, was uns gut gelingt oder was wir vielleicht noch brauchen.
⭐️ TRAG ES WEITER
Wir können im Einzelnen nicht die Welt retten. Gleichzeitig hat jede:r von uns einen Handlungsspielraum, in dem sie/er wirken kann. Wenn jede:r in ihrem/seinem Umfeld aktiv gewaltfrei lebt, tragen wir diese Haltung immer weiter – angefangen bei unseren Kindern.
Da ich mich immer über Impulse und Austausch freue, würde mich interessieren, welche Erfahrungen Du bisher zu dem Thema gemacht hast. Wie gehst Du damit um?
Ich freue mich über einen Kommentar oder eine Nachricht von Dir.
Bleibt rosa.
Eure Ramona