Du bist (gut) GENUG. Punkt. Damit wäre doch alles gesagt, wir könnten uns entspannt zurücklehnen, an einem leckeren Getränk nippen und uns unserer Lieben erfreuen. Stattdessen fühlen wir uns schlecht, maximal „stets bemüht“ und es bleibt nach einem langen Tag zwischen Familie, Arbeit und Haushalt das fade Gefühl, das doch wieder nicht so ganz hingekriegt zu haben mit dem Mama-/Papa-Sein. Zeit sich das mal genauer anzuschauen, finde ich.

In dem folgenden Beitrag erfährst Du,

  • wie Du an den Pokal für die „Gute Eltern“ kommst. NICHT.,
  • was Dein Kind Dir tagtäglich sagt auch ohne zu sprechen,
  • wie Du herausfinden kannst, was (gut) GENUG für Dich bedeutet.

 

Gute Eltern haben gute Kinder … oder?

Wenn ich den – meist mit verzweifelter Stimme gesprochenen – Satz höre „Ich will doch nur eine gute Mutter sein!“ (gilt genauso für Väter, die sagen das nur irgendwie nicht so oft), dann zucke ich innerlich immer ein bisschen zusammen. Ich habe dann zwei Positionen, aus denen heraus ich darauf reagieren kann: 

  1. Als Mutter von zwei Kindern, der dieser Satz alles andere als fremd ist. Ich mag dann einfach nur ganz laut „KENN ICH SOOOO GUT!“ rufen und diejenige/denjenigen in den Arm nehmen oder – wenn mal wieder zu viel Corona ist – mit Worten umarmen. 
  2. Als Coach, die gelernt hat, erstmal alles zu hinterfragen. Dann kommt so eine furchtbar schlaue Frage wie „Was bedeutet für Dich GUT?“ oder „Woran genau merkst Du, wenn es Dir gelingt, eine GUTE Mutter zu sein? Was machst Du da genau?“ usw. Wer bei mir im Coaching war oder meine Beiträge verfolgt, kennt die Fragen. ;)

Je nach Situation oder Setting passt mal das Eine, mal das Andere besser. Ausschließen muss es sich nicht. Ich kann auch als Freundin eine solche „Coaching-Frage“ stellen, die zum Denken anregt, oder als Coach die Klientin/den Klienten mit einem verständnisvollen Satz da abholen, wo sie/er sich gerade befindet. Wobei ich im zweiten Fall sehr stark darauf achte, dass ich ihr/ihm nicht meine Welt und meine Erfahrungen überstülpe oder aufdränge, sondern bei der Klientin/beim Klienten bleibe.

Das Hinterfragen ermöglicht es, dass wir daHINTER schauen, also herausfinden, was uns da antreibt. Wieso wollen wir gute Eltern sein? Oder vielleicht auch, FÜR WEN wollen wir gute Eltern sein? Wie gut ist gut und grenzt gut nicht eigentlich an perfekt? Setzen wir nicht Tag für Tag einen Maßstab an, der am Ende doch nur zum Scheitern führen kann?

Ich beobachte immer mehr, dass

  • (junge) Eltern sich das Hirn zermartern und z.B. stundenlang Testberichte wälzen, wenn sie selbst einfachste Dinge benötigen,
  • Mütter sich schlecht fühlen, wenn sie sich von Anfang an für die Flasche entscheiden oder es mit dem Stillen nicht klappt,
  • Eltern – und da sind es leider vorrangig die Mütter – mit dem Finger aufeinander zeigen, weil die Mama von Lutz-Benjamin kein frisch-geschnittenes Obst am Spielplatz reicht, sondern „nur“ Fruchtriegel (Himmel, der Zucker!),
  • Babys schon in verschiedensten Kursen angemeldet sind, damit das Kind gleich von Anfang an richtig gefördert wird.

Alles wird entweder in die Schublade GUT oder SCHLECHT geschoben. Dabei geht es nicht um „Tragetuch versus Kinderwagen, „Zucker – ja oder nein“, „Stillen versus Flasche“, „Babykonzert versus Spieluhr“,… in meiner Wahrnehmung geht es darum, dass wir Eltern höchst verunsichert sind. Verunsichert in einer Zeit, in der die alten Erziehungskonzepte überholt sind, uns aber leider noch genügend Vorbilder dafür fehlen, wie es anders gehen könnte, während der Zugang zu Informationen so einfach wie nie war. Beständig schwingt mit „Ich muss mich nur genug anstrengen, dann kriege ich das auch hin!“. Nebenbei bemerkt ein super Überbleibsel aka Glaubenssatz aus der „guten alten Zeit“. ;) Das überfordert uns, das stresst uns. Und wer gestresst ist, packt die Schwarz-Weiß-Schubladen aus, ordnet ein, um die Sicherheit zu erlangen, das Gefühl, dass man alles im Griff hat, sich und Kind inklusive.

Ich sag´ Euch was: das funktioniert so nicht mehr. Es wartet am Ende niemand mit einem Pokal für Euch und dem Zertifikat „Beste Mutter ever“ oder „Bester Vater ever“. Natürlich können wir uns als Eltern gegenseitig das Leben schwer machen, können alles überall rauspressen, um ja nichts zu verpassen, können 30 Tage googeln bis wir DEN PERFEKTEN Kindersitz haben – glücklicher und zufriedener werden wir damit nicht.

Wir sind nämlich immer noch …

… MÜDE von den vielen unterbrochenen Nächten

… AUSGELAUGT von der (emotionalen) Begleitung unserer Kinder

… SAUER über eine unachtsame Bemerkung der Partnerin/des Partners

… UNSICHER über die Entscheidung, das Kind mit 10 Monaten in die Krippe zu geben

… GESTRESST von den vielen Meinungen, die man ungefragt von außen bekommt und

… BESORGT über unsere Zukunft und die unserer Kinder (Hallo, Klimawandel, schön, dass du da bist. NICHT!).

Und genauso wenig, wie es gute Eltern gibt, gibt es gute Kinder (Über die Mär vom braven Kind, gibt es hier schon einen Beitrag.). Bewertungen sind fehl am Platz, denn sie sagen uns nichts über die Beziehung, die wir haben. Das ist ein bisschen wie mit den Noten in der Schule. Eine 1 ist gut, eine 6 ist schlecht. Mag sein. Aber wirklich aussagekräftig ist die Note nicht. Kein Hinweis darauf, was nicht klappt oder noch nicht vertraut ist. Kein Impuls, welche Potenziale in einem Menschen schlummern oder was dieser konkret braucht, damit sie sich entfalten dürfen. Es ist schlichtweg zu kurz gedacht.

Mein Vorschlag: Lassen wir es sein mit den Bewertungen. Und lassen wir UNS sein, also so sein wie wir sind. Müde und gleichzeitig liebevoll, besorgt und gleichzeitig dankbar, sauer und gleichzeitig wertschätzend. Und wer wirklich einen Maßstab braucht, der kann sich auch einfach überlegen, was für sie/ihn GENUG ist, aber dazu kommen wir noch.

Wechseln wir doch einfach mal die Perspektive! Lust?

 

Danke, Mama! Danke, Papa!

Für alle, die sich selbst nicht einfach mal DANKE sagen können, die möchte ich einladen Folgendes lesen. Ein Brief, den Dein Kind so oder so ähnlich vermutlich schreiben würde, wenn es könnte:

 

Liebe Mama, Lieber Papa,

DANKE, dass…

… Du mich heute Nacht 12-mal wieder in den Schlaf begleitet hast.

… Du mein Lieblingskleid kurz am Waschbecken säuberst und trocken fönst, damit ich es gleich wieder anziehen kann.

… Du mich die Zwiebeln aus dem Essen rauspulen lässt, weil ich Zwiebeln einfach nicht mag.

… Du mir immer noch beim Anziehen hilfst, auch wenn ich das schon alleine kann. Du weißt, dass ich mit dieser Zuwendung meinen Tank wieder auffülle.

… Du mir Worte gibst für all die Gefühle, die für mich noch so fremd und unheimlich sind.

… Du schaust, dass ich regelmäßig was zu Essen und zu Trinken habe.

… Du mich bei der Eingewöhnung in Kita begleitest.

… Du Dir Gedanken machst, wie Du Übergänge für mich begleiten kannst.

… Du mir gut zuredest und mich unterstützt, wenn es in der Schule mal nicht so läuft.

… Du mir Vertrauen schenkst, wenn ich irgendwo hoch klettere, auch wenn Du Dir gleichzeitig Sorgen machst, dass ich mich verletzten könnte.

 

BITTE…

… esse und trinke regelmäßig, auch wenn ich dadurch vielleicht einen Moment warten muss. Ich weiß und spüre, dass Du da bist.

… triff Dich mit Deinen Freund:innen oder nimm Dir eine kleine Auszeit. Auch wenn ich traurig darüber bin, dass Du weg bist, es gibt noch weitere Bezugspersonen, bei denen ich gut aufgehoben bin.

… schieb´ einfach eine Pizza in den Ofen oder koch´ das dritte Mal die Woche Nudeln, wenn das einen stressigen Tag entspannter ausklingen lässt. 

… sprich es ruhig aus, wenn Du mal sauer/wütend/traurig bist. Das ist authentisch und ich kann so von Dir lernen, wie Du mit solchen Gefühlen umgehst.

… tu, was immer DIR gut tut, damit Du für die täglichen Herausforderungen gewappnet bist.

Glaub mir, Du bist für mich die beste Mama/der beste Papa, auch wenn Du nicht immer alles im Griff hast, auch wenn Du müde bist und nicht dasselbe Buch zum 12. Mal vorlesen magst. Ich weiß, Du tust, was Du kannst und meistens noch so viel mehr. Achte darauf, dass es nicht zu viel wird.

Ich hab Dich lieb! Dein Kind

 

Vielleicht sind Dir beim Lesen des Briefes noch weitere Dinge eingefallen, für die Dein Kind sich bei Dir bedanken würde. Oder Dein Kind ist schon älter und hat sich mal konkret für etwas bedankt, womit Du nicht gerechnet hättest. Lass diesen Gedanken ruhig einen Moment wirken und spüre das wohlig-warme Gefühl, das sich bei Dir breit macht…

Bereit für die letzte Etappe?

 

Was bedeutet (gut) GENUG für Dich?

Wenn Bewertungen wie GUT und SCHLECHT wenig hilfreich für uns sind, um unsere Elternrolle zu finden und so auszugestalten, dass wir eben nicht permanent kurz vorm Burnout stehen – was dann?

Der Psychoanalytiker Donald W. Winnicott (1896-1971) prägte den Begriff der „good enough mother“. Damit beschreibt er eine Mutter, die nicht perfekt oder ideal ist, sondern eben gut genug auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingeht, um diesem eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen. 

Es kommt allerdings darauf an, welchen Teil von GUT GENUG man betont, also geht es darum GUT genug oder gut GENUG zu sein? Bei der ersten Variante laufen wir wieder Gefahr in die alten Muster der Perfektion zu verfallen, weil wir nur „gut“ wahrnehmen und das Wort „genug“ viel zu schnell verpufft. Deshalb formuliere ich die Frage gerne so:

 

Was bedeutet (gut) GENUG für Dich?

 

Und schon haben wir die Möglichkeit wegzukommen von den zu hohen Erwartungen, die andere und vor allem wir selbst an uns stellen, von dem unrealistischen Bild der perfekten Eltern, das wir selbst mit viel Fleiß und Wille nicht dauerhaft werden erfüllen können. 

Stattdessen schauen wir HIN ZU UNS und dem, 

… was wir gerade geben können anstatt immer nur zu müssen,

… was wir vielleicht brauchen, damit der lange Atem und das Sitzfleisch nicht so überstrapaziert werden,

… wie Elternschaft in unserer individuellen Version von (gut) GENUG aussieht.

 

Die ganz Wilden unter uns lassen das „gut“ einfach komplett weg. Es gibt nämlich durchaus Tage, an denen selbst GENUG schon eine Herausforderung ist und völlig ausreicht. Wurde hier diverse Male erprobt. Es leben noch alle.

Zum Schluss noch drei Impulsfragen, die Dir helfen sollen, Deine Version von (gut) GENUG zu finden:

  • Was empfindest Du als gut, was als schlecht? Und wie könnte die „goldene Mitte“ aussehen?
  • Welche Themen sind Dir so wichtig, dass sie eigentlich nicht verhandelbar sind? Und wie kann – als Notfallplan für die ganz harten Tage – auch hier eine 80%-Version aussehen?
  • Wenn Du Dein 90-jähriges Ich befragen könntest: für welche Bereiche würde es Dir empfehlen, es etwas langsamer oder lockerer anzugehen?

Da ich mich immer über Impulse und Austausch freue, würde mich interessieren, welche Erfahrungen Du bisher zu dem Thema gemacht hast. Was bedeutet für Dich (gut) GENUG? Wo fällt es Dir noch schwer, ein GENUG zu definieren?

Ich freue mich über einen Kommentar oder eine Nachricht von Dir.

Bleibt rosa. 
Eure Ramona