„NEIN, DIE MAMA SOLL…
…Windeln wechseln, Zähne putzen, das Brot schneiden, die Jacke anziehen, das Buch vorlesen, das Schlaflied singen, die Tür aufmachen, den Pulli holen, das Wasser einschenken, …“. In vielen Familien Alltag. Bei den meisten „nur so eine Phase“ und bei manchen sind Mamakinder echt ein großes Thema. Und zwar dann, wenn die Situation zur Belastung wird, für ALLE. Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall, dass Kinder den Papa bevorzugen. Dennoch bleibe ich im Gegensatz zu meinen sonstigen Artikeln bei dem Beispiel Mamakinder, da ich diesen Fall viel häufiger beobachte. Ich hoffe, dass die enthaltenen Impulse auch für die andere Konstellation hilfreich sind.
Hier ein kurzer Überblick, was Dich in diesem Beitrag erwartet:
💗 Teil 1 – „Nein, die Mama…!“ – Wenn der Papa Luft ist.
💗 Teil 2 – Wie entstehen Mamakinder? Oder sind sie schon da?
💗 Teil 3 – Ist alles nur `ne Phase oder so. Impulse für Deinen Umgang mit einem Mamakind.
„Nein, die Mama…!“ – Wenn der Papa Luft ist
Die meisten Kinder bevorzugen immer wieder mal ein Elternteil. Mal die Mama, weil die viel schöner zu kuscheln ist, mal den Papa, weil er dem Kind auf dem Spielplatz mehr zutraut, wenn es das Klettergerüst erkundet. Dieses Verhalten ist völlig normal, denn je nach Persönlichkeit und/oder Situation fühlt sich das Kind mehr der Mama oder mehr dem Papa verbunden. Und es ist auch normal, dass nicht Mama und Papa gleich gern basteln, Fahrradfahren oder Bücher lesen. Hier hat jede Mutter und jeder Vater individuelle Vorlieben und Talente. Damit können Kinder in der Regel sehr gut umgehen.
Fühlt es sich im Großen und Ganzen für die Eltern ausgewogen an, kann man diesen Phasen, wenn das Kind auf ein Elternteil fixiert ist, relativ gelassen gegenüber stehen. Anders ist es jedoch, wenn das Kind die Mama pausenlos einfordert und den Papa genauso pausenlos ablehnt. Und Kinder wären nicht Kinder, wenn sie das nicht auf ihre herzerfrischend ehrliche Art machen würden, d.h. mit ziemlich klaren Worten wie „DU nicht, die MAMA!“.
AUTSCH! Das sitzt. Und zwar ordentlich. Wenn der Papa ziemlich deutlich zu hören kriegt, dass er jetzt nicht erwünscht ist und nicht helfen, spielen oder wickeln soll, dann verletzt das tief im Inneren. Da hilft leider auch wenig, wenn man sich vor Augen hält, dass Kinder erst um den 4. Geburtstag rum sich soweit in andere hineinversetzen können, dass sie verstehen, wenn sie jemanden verletzen. Die Erklärung ist auf rationaler Ebene nachvollziehbar, auf emotionaler Ebene hilft sie dem Papa leider wenig. Die Kränkung ist da und deutlich spürbar. Niemand möchte gerne abgelehnt werden, schon gar nicht vom eigenen Kind.
Zu dieser Kränkung, die der Papa spürt, gesellt sich die Überlastung der Mama. Was sich anfangs vielleicht schön und wie eine kleine Liebeserklärung anfühlt, kann zu einer ziemlichen Belastungsprobe werden. Ein Kind zu versorgen und zu betreuen bedeutet v.a. bei Babys und kleinen Kindern eine permanente Verfügbarkeit. Das ist nicht mit einer Dauerbespaßung zu verwechseln, denn grad in anhänglichen Phasen, wenn Kinder ein starkes Bindungsbedürfnis zeigen, das gestillt werden will, ist es unglaublich anstrengend. Das treibt für Außenstehende oft komische Blüten, denn die Mama kann plötzlich weder allein duschen noch aufs Klo, sie ist für ALLES zuständig – vom Wickeln über Essen schneiden/pusten bis hin zum Spielen und Lesen.
Braucht das Kind Unterstützung beim Schuhe anziehen > NUR DIE MAMA!
Ist das Kind verletzt und will getröstet werden > NUR DIE MAMA!
Sitzt das Kind im Buggy und muss geschoben werden > NUR DIE MAMA!
Es sind also auch völlig banale Situationen dabei wie mit den Schuhen oder dem Buggy und eben nicht nur die, in denen das Kind emotionale Unterstützung benötigt. Auch hier kommen oft gutgemeinte Ratschläge wie „Ihr müsst da einfach konsequent sein!“ oder „Dann schreit es halt mal. Es wird sich schon beruhigen!“. Diese Ratschläge kommen von Menschen, die entweder gar keine Kinder oder keine Mamakinder haben, d.h. deren Kinder dieses Verhalten immer nur phasenweise und nicht so extrem gezeigt haben, wie es bei manchen der Fall ist. Wie schon erwähnt, hat das auch mit der Persönlichkeit und dem Temperament des Kindes zu tun. Deshalb greifen pauschale Ratschläge viel zu kurz. Eine Eigenschaft, die alle gutgemeinten pauschalen Ratschläge gemeinsam haben.
Um eine Lösung für sich herauszufinden, ist es erst einmal wichtig Verständnis zu schaffen. FÜR ALLE BETEILIGTEN, nicht nur für die Mamakinder. In diesem Spiel gibt es nämlich keinen Gewinner, fader Beigeschmack auf allen Seiten.
Wie entstehen Mamakinder? Oder sind sie schon da?
Kinder sind unterschiedlich, in ihrer Persönlichkeit und ihrem Temperament, ihren Interessen und ihren Begabungen. Darüber hinaus machen Kinder unterschiedliche Erfahrungen, da ja – oh Wunder – auch nicht alle Eltern gleich sind oder alle Geschwister, Großeltern, Erzieher:innen, Lehrer:innen…
Die Frage, wie Mamakinder entstehen, kann daher nicht pauschal beantwortet werden, sondern muss individuell betrachtet werden. Fest steht, es kommt kein Kind auf die Welt mit der Eigenschaft „Mamakind“. Das wäre auch verheerend für den Fall, dass die Mutter aus welchen Gründen auch immer plötzlich nicht mehr verfügbar ist. Denn dann hätte das Baby keine Chance zu überleben, sobald es vom Vater oder einer anderen Person versorgt wird.
Wenn wir über Eltern-Kind-Beziehungen sprechen, kommen wir an dem wichtigen und spannenden Thema Bindung nicht vorbei. Laut dem Bindungsforscher John Bowlby gibt es eine sogenannte Bindungshierarchie, die vom Prinzip her an eine Pyramide erinnert. Ganz oben befindet sich die Bindungsperson Nummer 1, danach kommt Bindungsperson Nummer 2, dann kommen 3, 4, 5 usw. Die Nummer 1 ist in den meisten Fällen die Mutter, die Nummer 2 der Vater oder die Geschwister, an Stelle 3, 4 usw. kommen die Großeltern oder enge Freunde der Familie. Das ist eine sehr klassische Reihenfolge, die – zumindest in der Theorie – auch ganz anders sein kann. In der Praxis ist es nur immer oft noch so, dass die Mutter ab der Geburt für längere Zeit zuhause ist und das Baby versorgt, während der Vater nach kurzer Elternzeit wieder arbeitet. So langsam ändert sich das, weil Familien und ihre Zusammensetzung sich ändern, aber die Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft sind noch nicht so weit, dass hier ernsthaft von Diversität gesprochen werden kann. Dazu mal mehr in einem separaten Beitrag, denn das würde hier den Rahmen sprengen.
Zurück zur Bindungstheorie. Die Nummer 1 ist die Nummer 1. Punkt. An die kommt nichts dran. Die Nummer 2 ist auch toll, aber eben nicht so gottgleich wie Nummer 1. Das führt dazu, dass in Situationen, in denen das Kind Stress verspürt, immer die Nummer 1 gerufen wird. Ein Klassiker: Kind fällt hin, Papa nimmt es auf den Arm, um es zu trösten. Das Kind streckt die Arme nach der Mutter aus und schreit „Mama!!“. Die Mama nimmt das Kind auf den Arm, innerhalb kürzester Zeit beruhigt sich das Kind.
Was ist passiert? Der Stress löst ein Bindungsbedürfnis beim Kind aus, denn durch die Zuwendung wie bspw. in den Arm nehmen und streicheln wird das Glückshormon Oxytocin ausgeschüttet (wird auch gerne Bindungshormon genannt). Wir alle kennen das: wenn uns ein lieber Mensch in den Arm nimmt, z.B. wenn wir traurig sind, macht sich ein wohliges Gefühl in uns breit. Eine Ladung Oxytocin, BÄM! Dieses Hormon führt dazu, dass der Stress runtergefahren wird und wir uns beruhigen, so auch beim Kind. Bei der Bindungsperson Nummer 1 läuft das wie geschmiert und eben am schnellsten. Und deshalb wählt das Kind natürlich nicht den Weg, bei dem es länger dauern würde, in dem Fall Bindungsperson 2-5.
Hand aufs Herz: hätten wir Schmerzen und zwei Medikamente zur Auswahl, die beide gegen die Schmerzen helfen, nur das eine eben schneller als das andere, wir würden alle das nehmen, das schneller wirkt. ;)
Soweit die Bindungstheorie. Nun ist noch offen, was bei Kindern Stress auslöst. Das sind nicht nur Situationen, in denen sie hinfallen und sich verletzten, sondern bspw. auch das Einschlafen. Nach einem ereignisreichen Tag, an dem Kinder viel gelernt, erfahren, weggesteckt, gefühlt und probiert haben, fällt es schwer loszulassen. Vieles ist noch nicht verarbeitet, eine bestimmte Situation vom Tag beschäftigt das Kind, es kann sich aber (noch) nicht mit Worten ausdrücken, was da so in ihm rumort. All das aktiviert das Bindungsbedürfnis. In liebevoller Begleitung durch eine Bindungsperson schafft es das Kind, sich vom Tag zu verabschieden und in den Schlaf zu finden. Und auch hier geht es mit Nummer 1 einfacher und schneller als mit Nummer 2.
Neben diesen alltäglichen Dingen gibt es noch weitere Faktoren, die das Ganze begünstigen KÖNNEN (nicht müssen):
- Die Mutter ist – zumindest in der Anfangszeit – zuhause und kümmert sich um das Kind, während der Vater arbeiten geht.
- Die Mutter ist physisch anwesend, aber nicht wirklich präsent; das verunsichert das Kind und es sucht die Bestätigung, dass alles in Ordnung ist.
- Eine überlastete Mutter ist nicht mehr in der Lage das Kind zu führen, vielmehr überlässt sie dem Kind die Führung.
- Der Vater ist distanziert, weil er sich aufgrund der schlechten Erfahrungen („Ich kann mein Kind eh nicht trösten/unterstützen/etc.!“) für überflüssig hält.
- Ein geringes Selbstwertgefühl der Mutter wird durch die Beziehung zum Kind kompensiert.
- …
An der Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es nicht darum geht, eine:n Schuldige:n zu benennen, sondern den Blick zu öffnen dafür, welche Rahmenbedingungen die Situation begünstigen können. Nicht immer haben wir die Möglichkeit, daran etwas zu ändern, aber oft hilft schon das Verständnis dabei, die Dinge anzunehmen. Dadurch gehen sie nicht weg, werden aber leichter.
Fassen wir zusammen: Mamakinder werden nicht einfach so geboren, vielmehr spielt eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle wie Persönlichkeit und Temperament des Kindes sowie erste Beziehungserfahrungen in der Kernfamilie bzw. in Krippe/Kindergarten. Es gibt Rahmenbedingungen, an denen können wir nicht viel ändern. Gleichzeitig gibt es Bereiche, die wir sehr wohl in der Hand haben. Und auf die möchte ich im letzten Teil genauer eingehen.
Ist alles nur `ne Phase oder so. – Impulse für Deinen Umgang mit einem Mamakind.
Den Satz „Ist nur `ne Phase“ kennen mittlerweile ALLE Eltern; die wenigsten können ihn noch hören, glaube ich. Warum? Weil uns dieser Satz machtlos zurücklässt. So, als könnten wir rein gar nichts tun, um die Situation für uns angenehmer zu gestalten. Manchmal brauchen wir das aber. Es geht nicht darum, am Kind zu drehen, zu schrauben und zu formen bis es endlich so ist, wie wir oder irgendjemand anderes es gerne hätte. Sondern darum, wie wir einen Umgang mit den manchmal sehr herausfordernden Phasen hinkriegen, der uns nicht ständig an unseren Fähigkeiten als Eltern zweifeln lässt. Vor allem, wenn wir uns bewusst machen, dass die „Phasen“ der Mamakinder bis zur Pubertät immer wieder auftauchen können.
Folgendes könnt Ihr tun:
💗 Gefühle annehmen.
Und zwar die Gefühle ALLER Beteiligten, d.h. die Angst/Unsicherheit beim Kind, den Frust beim Papa und die Überforderung bei der Mama. Es hilft wenig bis gar nichts, irgendwas davon abzutun oder zu ignorieren. Es kommt nur umso heftiger zurück. Falls Ihr noch Unterstützung beim Annehmen und Begleiten von Gefühlen braucht, hier findet Ihr interessante Impulse: Fühl´ doch mal! – Gefühle verstehen und begleiten.
💗 Alltag beobachten.
Schaut über einen Zeitraum von 1-2 Wochen, wie sich Euer Kind verhält. In welchen Situationen ist die Mama gefragt, wann sucht es Kontakt zum Papa? Ihr werdet vermutlich feststellen, dass Euer Kind gar nicht „immer und ausschließlich“ zur Mama will. Und zudem kriegt Ihr ein Gespür dafür, wo Eure Kernkompetenzen und auch Vorlieben als Mama/Papa liegen.
💗 Zugewandt bleiben.
Auch wenn es schwerfällt und die Zurückweisung durch das Kind schmerzt, solltet Ihr Euch nicht von ihm abwenden. Kinder sind sehr sensibel und empfänglich für Stimmungen, selbst wenn Ihr nichts sagt. Das verunsichert Euer Kind und führt nur noch mehr dazu, dass Nummer 1 „the one and only“ wird.
💗 Aktiv einbeziehen.
Hier ist die Nummer 1 (in unserem Fall die Mama) gefragt. Die Bestätigung so vom Kind geliebt zu werden ist kurz bevor es in die Überlastung kippt schön und angenehm. Achte darauf, dass der Papa nicht ausgeschlossen wird, sondern versuche, ihn aktiv einzubeziehen („Du magst ein Buch lesen? Das macht am besten der Papa, der kann so viele verschiedene Stimmen nachmachen.“)
💗 Gemeinsam Zeit verbringen.
Freizeit ist oft rar. Um dem Partner etwas Freiraum – also Zeit für sich – zu geben, neigen wir dazu, die Kinderbetreuung im Ping-Pong-Verfahren zu gestalten: die/der Eine unternimmt etwas mit dem Kind, die/der Andere kriegt Me-Time. Und andersrum. Verbringt Zeit gemeinsam oder startet zumindest manche Aktivitäten (Sandburg bauen, Buch anschauen etc.) zusammen. Wenn Euer Kind in der Tätigkeit/Situation angekommen ist, kann die Mama versuchen sich zurückzuziehen. Klappt vermutlich nicht beim ersten Mal und auch nicht immer, aber mit etwas Geduld und Übung immer besser.
Auf keinen Fall solltet Ihr irgendetwas erzwingen, weder beim Kind noch bei Euch. Druck erzeugt in der Regel Gegendruck. Wer das nicht kennt, hat keine Kinder. :) Geht sorgsam mit der Situation und mit Euch um. Und vertraut auf Folgendes: Kinder WOLLEN selbstständig werden und machen das in ihrem individuellen Tempo. Je besser und je sicherer ein Kind sich binden kann, desto sicherer und selbstständiger wird es werden. Und dazu gehört auch das Sich-Einlassen auf andere Bindungspersonen als Nummer 1.
Zum Schluss noch drei Impulsfragen zum Thema Mamakinder, mit denen Ihr schauen könnt, wo Ihr gerade steht:
- Stell Dir vor es wird sich rein gar nichts an der aktuellen Situation ändern, was könnte dann schlimmstenfalls passieren?
- Was bräuchtest Du, damit Du mit der Situation besser umgehen kannst? Und wie könntest Du das bekommen?
- Wenn die Situation nicht so wäre wie sie ist, was würde Dir dann fehlen?
Da ich mich immer über Impulse und Austausch freue, würde mich interessieren, welche Erfahrungen Du bisher zum Thema Mamakinder gemacht hast. Wie geht Ihr mit Eurem Mamakind um? Was hilft Euch?
Ich freue mich über einen Kommentar oder eine Nachricht von Dir.
Bleibt rosa.
Eure Ramona