Gerechtigkeit in der Erziehung bei Kind 1 sieht in etwa so aus:

  • Süßkram? Frühestens ab 3 Jahren.
  • Kuscheln? Immer und jederzeit.
  • Als Eltern in die Rolle von Skye, Baby oder Drache Kokosnuss schlüpfen? Eh klar.

Beim ersten Kind gibt es also viele Dinge, die wir klar festlegen können, ohne sie groß diskutieren zu müssen (die 312 Wutanfälle aufgrund verweigertem Schokoriegel im Supermarkt mal ausgenommen). Und es gibt Zeit für innige Momente, für Rollenspiele, für Malen, Basteln, Lesen, Rumtoben…

Ab dem zweiten Kind passiert jedoch etwas mit und in unserer Familie, denn es gibt was, das mit der Geburt automatisch mitgeliefert wird (niemand hat das bewusst angekreuzt, ich weiß): die Gerechtigkeitsfrage. Sie zeigt sich in vielen verschiedenen Facetten und Gestalten und kann zu einer üblen Falle im Familienalltag werden. Wir kommen ins Straucheln und was vorher klar und sicher war, bröckelt und bringt unser Erziehungsfundament ordentlich ins Wanken.

Hier ein kurzer Überblick, was Dich in diesem Beitrag erwartet:

💗 Teil 1 – Schokolade für ALLE! – Und dann ist eine:r allergisch.

💗 Teil 2 – Warum muss es eigentlich immer gerecht sein?

💗 Teil 3 – 4+1 Fragen an Dich. Als Erwachsene:r. Als Kind.

 

Schokolade für ALLE! – Und dann ist eine:r allergisch.

Würde ich eine Umfrage unter Eltern mit mindestens zwei Kindern starten mit der Frage: „Versucht Ihr Eure Kinder gerecht zu erziehen?“, ich würde vermutlich von allen ein JA als Antwort bekommen. Gleichzeitig schaue ich in betretene Gesichter mit dem ersten Anflug eines schlechten Gewissens. Dieses schlechte Gewissen – ein treuer Begleiter unserer Elternschaft, aber dazu kommen wir noch.

Es gibt so viele Situationen im Familienalltag, in denen es nicht gerecht zugeht:

  • Das eine Kind isst Schokolade, das andere darf nicht, weil es allergisch auf Nüsse reagiert.
  • Mit dem einen Kind kuscheln wir nachts viel, weil es ständig aufwacht. Mit dem anderen Kind nicht, es schläft ja durch.
  • Das jüngere Kind darf früher und vielleicht mehr fernsehen als sein älteres Geschwister damals im gleichen Alter.
  • Dem 3-Jährigen wird beim Anziehen geholfen, der 6-Jährigen nicht mehr. Klar, kann die das selber, aber fragt sie in dem Moment doch einfach mal, wie gerecht sie das findet.
  • Und ohne Witz, hier gibt es sogar Beschwerden, weil die selbstgemischte Saftschorle vom Bruder dunkler ist. Ein hieb- und stichfester Beweis dafür, dass in seinem Glas mehr Saft drin ist. Noch Fragen?

Sicherlich fallen Dir noch weitere Beispiele aus Eurem Familienalltag ein. Wir können nun diskutieren, inwieweit Schokolade und Saftschorlen mit Erziehung zu tun haben. Viel wichtiger finde ich es zu überlegen, was GERECHT bedeutet. Verstehen wir darunter nicht alle etwas anderes? Und geht es hier mehr um gefühlte oder tatsächliche Gerechtigkeit? Anders gefragt: lässt sich eine gefühlte Ungerechtigkeit mit Tatsachen überhaupt auflösen?

 

Warum muss es eigentlich immer gerecht sein?

Wer Gerechtigkeit einfordert, möchte etwas sicherstellen: und zwar dass sie/er nicht zu kurz kommt. Das gibt es nicht nur unter Kindern, auch wir Erwachsene kennen das. Und das können sowohl wir als auch unsere Kinder ziemlich vehement vertreten. Ich erinnere an die Färbung der selbstgemischten Saftschorle, die hier kriegsähnliche Zustände ausbrechen lässt.

Ich befürchte nur, wir verwechseln da oft was: Irgendwer oder irgendwas lässt uns in dem Glauben, dass Gerechtigkeit etwas mit Liebe zu tun hat. Dabei bedeutet Liebe in meiner Wahrnehmung, dass wir uns auf den Anderen einlassen und sie/ihn so nehmen, wie sie/er ist. Also mit allen BEDÜRFNISSEN sehen. Und die können gar nicht immer identisch sein, weder bei Erwachsenen noch bei Kindern. Selbst Zwillinge brauchen – so ähnlich sie sich oft sein mögen – nicht zu jedem Zeitpunkt ein und dasselbe.

Und hier sind wir bei einem wichtigen Punkt: der Unterscheidung zwischen einem Wunsch und einem Bedürfnis (Wer dazu mehr lesen möchte, wird hier fündig: Bedürfnis versus Wunsch – Vom Wollen und Brauchen). Vielleicht verlangen beide Kinder nach dem besagten Schokoriegel. Bei der 6-Jährigen fällt es uns leichter, den zu geben, als beim kleinen Bruder („Die Kinder sollen ja nicht so früh schon Schokolade essen!“). Dabei übersehen wir, dass es nicht unbedingt um den Schokoriegel geht, sondern vielmehr um Zuwendung. 

Wenn wir lernen, zwischen Wunsch und Bedürfnis zu unterscheiden und uns auf die Bedürfnisse unserer Kinder zu konzentrieren, dann gelingt es uns auch, die Gerechtigkeitsfrage hinten anzustellen. Weil dann nämlich jede:r das bekommt, was sie/er braucht. Dasselbe gilt übrigens auch für uns Eltern, wenn wir in stressigen Zeiten minutiös ausloten, wer in letzter Zeit öfter am Wochenende ausschlafen durfte. 😂

Mit der Frage nach Gerechtigkeit übergehen und übersehen wir das Bedürfnis, um das es geht. Es lohnt sich dahinter zu schauen und sich eher folgende Frage zu stellen:

Wofür möchte ich/mein Kind Gerechtigkeit? Was brauche ich bzw. was braucht mein Kind?

 

4+1 Fragen an Dich. Als Erwachsene:r. Als Kind.

Wenn wir über einen Wert wie Gerechtigkeit sprechen, dann lohnt es sich immer, diesen nicht nur aus der heutigen Perspektive zu betrachten, sondern auch etwas weiter zurück zu blicken: in unsere Kindheit. Und nein, es geht nicht darum, in alle Tiefen und Untiefen der eigenen Kindheit abzutauchen und alles hervorzuholen, was nicht rechtzeitig wegschwimmt. Die therapeutische Arbeit mit dem Inneren Kind gehört in die Hände von ausgebildeten und erfahrenen Therapeut:innen. Ich bin Coach – nicht mehr aber auch nicht weniger.

Gleichzeitig gehört zu dem, was wir heute sind, fühlen, denken eben auch unsere Kindheit und die damit verbundenen Erfahrungen, Erlebnisse und Gefühle. Und es kann sehr hilfreich sein, den Blick darauf zu richten, was wir selbst erlebt haben, wenn es bspw. um Gerechtigkeit geht. Gerade Kinder ab Vorschulalter beschäftigen sich intensivst damit, was gerecht oder ungerecht ist, und fordern gefühlt pausenlos eine Rückmeldung dazu. Ich verweise an der Stelle nochmal an die Färbung der selbstgemischten Saftschorle, die hier als Kriterium dafür herangezogen wird, wer mehr Saft abbekommen hat. 

Zudem gab und gibt es immer wieder Situationen im Familienalltag, in denen ich mir denke: „Das war nicht die Reaktion eines erwachsenen Menschen, hier hat sich noch ein drittes Kind eingeschlichen.“ Gilt übrigens für mich genauso wie für meinen Mann. 

Deshalb eine Einladung von mir, Dir folgende 4 Fragen zu stellen – und zwar einmal an Dein erwachsenes Ich und einmal an Dich als Kind:

  • Was bedeutet(e) Gerechtigkeit für mich?
  • Welche Erfahrung habe ich im meinem Leben mit dem Thema Gerechtigkeit gemacht?
  • Wie bin ich bisher mit Ungerechtigkeit umgegangen?
  • Was hätte ich in Situationen, in denen ich mich ungerecht behandelt fühlte, eigentlich gebraucht?

Und eine abschließende Frage: Was nimmst Du mit für Deine Rolle als Mutter oder Vater?

 

Da ich mich immer über Impulse und Austausch freue, würde mich interessieren, welche Erfahrungen Du bisher zu dem Thema gemacht hast. Wie gehst Du damit um?

Ich freue mich über einen Kommentar oder eine Nachricht von Dir.

Bleibt rosa.
Eure Ramona