Wenn wir GRENZEN SETZEN hören, sind wir gedanklich schnell bei unseren Kindern und den Grenzen, die wir ihnen setzen MÜSSEN. Weil Kinder ja Grenzen brauchen. Weiß doch jeder. Sonst sind wir eines Tages nur von Tyrannen umgeben, die sich nicht an Regeln halten können. Oder? 😉

Vielleicht habt Ihr Lust auf eine neue Perspektive dazu. Man kann das Ganze nämlich auch etwas anders angehen. Bevor wir anfangen, unseren Kindern Grenzen zu setzen, die möglicherweise gar nichts mit ihnen und uns zu tun haben, schauen wir uns einfach mal an, was es mit diesem GRENZEN SETZEN auf sich hat.

 

Hier ein kurzer Überblick, was Dich in diesem Beitrag erwartet:

💗 Teil 1 – Was sind Grenzen? Woher kommen sie?

💗 Teil 2 – Was passiert, wenn Grenzen verletzt werden?

💗 Teil 3 – 3 Schritte, wie Du DEINE Grenzen erkennst und kommunizierst

 

Was sind Grenzen? Woher kommen sie?

Es gibt natürlich verschiedene Arten von Grenzen, abhängig davon, aus welcher Perspektive heraus oder in welchem Kontext man sie betrachtet. Dieser Beitrag bezieht sich auf die PERSÖNLICHEN GRENZEN von uns Menschen, also die Grenzen, die festlegen, welche Aussagen oder Handlungen in dem betreffenden Bereich akzeptiert sind und welche nicht.

 

Ein paar konkrete Beispiele zum Thema GRENZEN SETZEN:

  • Mir hat ein Bekannter, als ich hochschwanger war, mal ungefragt an den Bauch gefasst. Ich weiß, er meinte es nicht böse, sondern wollte seine Freude zum Ausdruck bringen, da er selbst Vater ist. Dennoch fand ich das in dem Moment unglaublich grenzüberschreitend.
  • Du reagierst wütend oder aggressiv, weil Dein:e Partner:in eine Entscheidung getroffen hat, ohne mit Dir darüber zu sprechen.
  • Du hast Dich entschieden, für ein halbes Jahr auf Alkohol, Süßigkeiten o.ä. zu verzichten, ein:e Freund:in bietet Dir aber immer wieder was davon an, wenn Ihr Euch seht.
  • Dein Baby schläft seit Wochen nachts schlecht und Du gehst schon total am Zahnfleisch, so dass Du Dich nur noch durch den Tag schleppen kannst und keine Energie mehr hast.
  • Du bist genervt, weil Du von einer/einem Fremden geduzt wirst. Geht aber auch anders rum: mich irritiert es, wenn ich von Erwachsenen im gleichen Alter gesiezt werde. :)

Sicher fallen Dir noch weitere Beispiele ein. Allein diese kleine Auflistung zeigt schon, wie vielfältig und unterschiedlich Grenzen sein können, denn sie sind INDIVIDUELL und eben sehr PERSÖNLICH. 

 

Was macht die Grenzen so individuell? Unsere Grenzen haben etwas mit unserer persönlichen Entwicklung zu tun, mit dem, was wir und unsere Vorfahren erlebt haben. Interessant ist, dass hier auch Grenzen dabei sein können, die eigentlich gar nicht unsere eigenen wären, aber die uns vorgelebt bzw. vorgegeben wurden.

Hinter diesen Grenzen stecken Werte oder Überzeugungen, somit bedeutet eine Grenzüberschreitung immer auch eine Verletzung des eigenen Wertesystems. Wenn mir bspw. Wertschätzung in der Partnerschaft wichtig ist, dann macht es mich natürlich wahnsinnig, wenn mein Partner wichtige Entscheidungen ohne mich trifft. In dem Moment fühle ich mich nicht gesehen, meine Meinung scheint keinen Wert zu haben. Dass das nicht zwangsläufig auch wirklich so sein muss, ist klar. Es kann zweiunddrölfzig andere Gründe gegeben haben, warum mein Partner so gehandelt hat. Aber erstmal fühlt es sich für mich so an. Und das ist im ersten Moment auch das Einzige, was zählt. Wenn ich darüber hinweg gehe, überschreite ich selbst genauso meine Grenze wie mein Partner. Langfristig keine gute Idee, wie wir noch sehen werden.

 

Weitere Eigenschaften von Grenzen:

Grenzen sind per se weder „gut“ noch „schlecht“. Sie lassen sich also nicht bewerten. Auch wenn wir das oft tun und die Grenzen anderer be- ja manchmal sogar abwerten. Den Satz „Stell´ Dich nicht so an!“ hat jeder schon mal gehört, viele in der Kindheit. Hier liegt im Übrigen auch der Grund, warum sich das als Erwachsene auch noch gegenseitig sagen.

Grenzen sind absolut unverzichtbar für uns Menschen. Sie sichern unsere (geistige) Gesundheit. Somit haben persönliche Grenzen eine wichtige Schutzfunktion für uns, z.B. Schutz vor Schmerzen oder vor Enttäuschungen.

Grenzen geben Orientierung und Sicherheit. Sie wirken wie ein Spielraum für Handlungen und Aussagen, sowohl der eigenen als auch der anderen. Ein kleines inneres „Regelwerk“, das sagt, was für uns geht und was nicht.

Grenzen können auch behindernd oder einschränkend sein. Nämlich dann, wenn wir sie wie eine Mauer um uns herum aufbauen und somit vielleicht Kommunikation mit anderen aus dem Weg gehen.

Grenzen sind veränderlich. Das ist meiner Meinung nach die wichtigste Eigenschaft. Sie wirken oft wie eine feste Mauer, an der nicht zu rütteln ist. Dabei können wir sie verändern oder erweitern, wenn wir uns bewusst dazu entscheiden.

 

Was passiert, wenn Grenzen verletzt werden?

Unsere Reaktion, wenn eine persönliche Grenze überschritten wurde, ist ein Gefühl des Unwohlseins. Wir ärgern uns, fühlen uns gestresst oder ängstlich, der Magen krampft sich zusammen oder wir reagieren aggressiv. Das ist individuell sehr unterschiedlich. In der Regel fällt dann ein Satz wie „Bis hierhin und nicht weiter“, entweder direkt ausgesprochen oder er geistert uns im Kopf herum.

 

Wie kommt es überhaupt soweit? 

I – Grenzen sind für unsere Mitmenschen nicht immer offensichtlich. Wo (viele) Menschen zusammen kommen, werden Grenzen zwangsläufig immer wieder übertreten, weil sie eben so individuell sind und teilweise auch in Widerspruch zueinander stehen. Während ich irritiert bin, wenn ein Fremder im gleichen Alter mich siezt, kann er es wiederum unhöflich finden, wenn ich ihn von Anfang an duze.

II – Grenzen sind uns selbst sehr oft nicht bewusst. Vielleicht weiß ich, dass ich Höhenangst habe und werde mich deshalb nie auf einen Bungee Jump einlassen. Warum mich ein wegen Langeweile nörgelndes Kind so stark herausfordert, ist schon nicht mehr ganz so leicht zu beantworten. Dafür kann es viele Gründe geben.

 

Fest steht: Auf Dauer macht es uns Menschen krank, wenn unsere Grenzen immer wieder überschritten werden (von uns selbst und/oder von anderen). Einfach deshalb, weil die Gesundheit leidet. Ihr erinnert Euch? Eine Eigenschaft von Grenzen ist ihre Schutzfunktion.

 

Interessant ist, dass wir unter bestimmten Bedingungen das Überschreiten unserer Grenzen mehr/leichter tolerieren. Ein Beispiel: Wenn uns unser 4 Monate altes Baby den Schlaf raubt, überschreitet es meist eine wichtige körperliche Grenze. Gleichzeitig wissen wir, dass die Bedürfnisse des Babys, z.B. nach Nähe, Schutz und Geborgenheit gerade nachts sehr elementar sind. Das ermöglicht es uns, unser Bedürfnis nach ausreichend Schlaf hinten an zu stellen. Achtung: das ist individuell sehr unterschiedlich und funktioniert auch nicht beliebig lange.

Oder bei Freund:innen sind wir meist auch gnädiger, zumindest wenn sie unsere Grenze nicht absichtlich überschreiten.

Hier wird deutlich, was uns helfen kann: Toleranz und Verständnis. Damit wir uns nicht gegenseitig so schnell verurteilen. Vor allem bei Kindern ist dies enorm wichtig. Deine 2-Jährige möchte gerade nicht gewickelt werden? Dann ist es keine gute Idee, sie einfach zu packen und zu zwingen. Damit überschreiten wir nämlich eine wichtige körperliche Grenze, die in dem Moment da ist (und später im Teenageralter plötzlich sehr wichtig werden kann). Fünf Minuten sieht es vielleicht schon wieder ganz anders aus. ;)

Der Satz, den wir vermutlich selber oft gehört haben: „Stell´ Dich nicht so an!“. Ich weiß beim besten Willen nicht, in welchem Kontext dieser Satz eine Daseinsberechtigung haben könnte. Deshalb habe ich ihn mittlerweile komplett aus meinem Wortschatz gestrichen.

Das Ziel ist also weniger, dass wir ab sofort NIE WIEDER irgendwelche Grenzen überschreiten. Vielmehr geht es darum, mit den eigenen Grenzen sehr achtsam umzugehen und sie selbst so gut es geht zu wahren. Wie Dir das gelingt, erfährst Du im Folgenden.

 

3 Schritte, wie Du DEINE Grenzen erkennst und kommunizierst

Um für Deine Grenzen einstehen zu können, ist es wichtig, dass Du sie erKENNST und spürst. Oft sind sie uns nämlich überhaupt nicht bewusst, uns beschleicht lediglich ein diffuses Gefühl, wenn uns eine Bemerkung oder Handlung stört. Manchmal schaffen wir es noch nicht einmal, das Gefühl mit einer bestimmten Situation in Verbindung zu bringen.

Das Ganze braucht etwas Übung und wahrscheinlich gibt es Grenzen, an die Du nicht alleine dran kommst, sondern nur mit Unterstützung. Coaching kann hier ein guter Begleiter sein, weil es da ansetzt, wo’s zwickt und von dort aus gemeinsam mit Dir schaut, was Du künftig brauchst.

Für die „leichter zugänglichen“ Grenzen habe ich Dir im Folgenden eine kleine Übung zusammengestellt, die Du ausprobieren kannst. Es ist hilfreich, wenn Du Dir zu Beginn eine Grenze suchst, die Du gut kennst. Zur Veranschaulichung habe ich die einzelnen Schritte anhand eines konkreten Beispiels durchgespielt.

 


ÜBUNG: Grenzen erkennen, Grenzen setzen

Nimm Dir eine konkrete Situation, in der eine Deiner Grenzen überschritten wurde.

 

💗 Schritt 1: SPÜREN – Welches Gefühl entsteht in Dir, wenn diese Grenze verletzt wird?

Wirst Du wütend, traurig, ängstlich, aggressiv? Wo im Körper spürst Du das?

Ich ärgere mich, wenn ich mich morgens im Bad fertig mache und gefühlt all 30 Sekunden die Tür aufgeht, weil Mann oder Kinder was von mir wollen. Es fängt in meinem Bauch zu brodeln an und ich fühle mich, als wäre ich immer für alles zuständig.

TIPP: Mehr zum Thema Gefühle erfährst Du im Beitrag Fühl´ doch mal! – Gefühle verstehen und begleiten.

 

💗 Schritt 2: ERKENNEN – Wofür sorgt Deine Grenze?
Stell Dir vor, Du könntest mit Deiner Grenze sprechen. Frag sie, was sie für Dich Gutes tut in einer bestimmten Situation, und überlege Dir, was sie Dir antworten würde.

Meine Grenze weiß, dass ich neben all der Nähe und der vielen Interaktion den ganzen Tag über auch Momente des Rückzugs brauche, in denen ich ganz für mich bin und auch mit niemandem reden muss. Sie will, dass ich mir diese Momente behalte, weil ich sie zum Akku aufladen brauche.

 

💗 Schritt 3: KOMMUNIZIEREN – Was wünscht Du Dir?

Wenn Du das nächste Mal in die gleiche oder eine ähnliche Situation kommst, überleg Dir, was Du Dir wünschen würdest. Schreib diesen Wunsch als KLARE ICH-BOTSCHAFT auf einen Zettel.

„Ich brauche gerade Ruhe und möchte die nächsten 10 Minuten alleine im Bad sein. Anschließend komme ich zu Euch und wir spielen was. Such doch schon mal ein Spiel aus.“


 

Vielleicht klappt es gleich beim nächsten Mal, dass Du diese Ich-Botschaft aussprichst und so Deine Grenze setzen kannst. Wenn nicht, übe weiter und suche Dir eine Situation, in der Dir ein NEIN oder STOPP noch leichter fällt. 

Es braucht etwas Mut, das eigene Verhalten zu reflektieren und anzupassen. Zudem braucht eine solche Veränderung ihre Zeit, auch für Dein Umfeld. Es ist also gut möglich, dass Deine Mitmenschen irritiert oder mit wenig Verständnis reagieren, wenn Du plötzlich Deine Grenzen setzen möchtest. Das ist ok, denn niemand muss Deine Grenze toll finden außer Du selbst. Nimm Dir die Zeit, die Du brauchst.

Da ich mich immer über Impulse und Austausch freue, würde mich interessieren, welche Erfahrungen Du bisher zu dem Thema gemacht hast. Wie gehst Du damit um?

Ich freue mich über einen Kommentar oder eine Nachricht von Dir.

Bleibt rosa.
Eure Ramona