Die Bezeichnung GEWALTFREIE KOMMUNIKATION (GFK) ist im ersten Moment vielleicht nicht greifbar oder gleich verständlich. Schauen wir uns deshalb folgende sehr konkrete Aussagen an:

▪️„Ich war heute eine schlechte Mutter, weil ich so viel geschimpft habe.“
▪️„Das hast Du jetzt davon, dass Du keine Jacke anziehen wolltest. Jetzt musst Du halt frieren.“
▪️„Immer fällst Du mir vor den Kindern in den Rücken!“

Kommen Dir solche Sätze bekannt vor? Vermutlich ja. Und kommt Dir dabei als erstes das Wort GEWALT in den Sinn? Vermutlich nicht. Bei Gewalt denken wir sehr oft zuerst an körperliche Übergriffe. Dabei vergessen wir, dass auch unsere Worte verletzen und Leid zufügen können. Sprache ist sehr mächtig, darüber treten wir in Verbindung miteinander, wir transportieren Informationen genauso wie unsere Bedürfnisse und Emotionen. Sie ist wie eine Brücke, die es uns ermöglicht, uns in andere hineinzuversetzen und sie zu verstehen.

Im Alltag denken wir natürlich nicht über jedes einzelne Wort nach, das uns über die Lippen kommt. Und dennoch möchte ich Dich einladen, genau das einmal zu tun, v.a. in den Situationen, aus denen wir nicht mit einem guten Gefühl rausgehen, sondern die einen faden Beigeschmack haben. Hast Du Lust, Dich auf ein kleines Experiment einzulassen?

Hier ein kurzer Überblick, was Dich in diesem Beitrag erwartet:

💗 Teil 1 – Gewaltfrei – was bedeutet das eigentlich?

💗 Teil 2 – Die 4 Komponenten des GFK-Modells

💗 Teil 3 – 5 Praxisbeispiele für GFK in der Familie

 

Was bedeutet eigentlich GEWALTFREI?

Wer sich mit dem Thema GEWALTFREI beschäftigt, der stolpert früher oder später über Mahatma Gandhi und seinen Gewaltfreien Widerstand. Von ihm stammt folgendes Zitat, das sehr schön beschreibt, was GEWALTFREI bedeutet:

Gewaltfrei heißt nicht nur Verzicht auf Gewalt und Widerstand, heißt auch nicht die andere Wange hinhalten. Gewaltfrei ist eine viel schwierigere Aufgabe, nämlich Verständnis und Einfühlung in die Ängste, die Unwissenheit, Hilflosigkeit und Unsicherheit der Menschen und Faktoren, die gewaltvolles Handeln hervorrufen.

Übertragen auf die GEWALTFREIE KOMMUNIKATION heißt das, eine Sprache zu erlernen, die uns Menschen miteinander verbindet. Sprache ist sehr mächtig, denn die Worte, die wir benutzen, prägen das Bild, das wir von anderen und uns selbst haben. Wer sich ständig selbst fertig macht, weil er/sie „mal wieder den ganzen Tag nur geschimpft hat“ wird sich schwer tun, sich als guten Vater oder gute Mutter wahrzunehmen. 

Und genau hier setzt die GEWALTFREIE KOMMUNIKATION an. Einer der wichtigsten Bausteine ist neben der Empathie für andere die SELBST-Empathie, d.h. mit sich selbst einfühlsam umzugehen, hinzuhören, welche Bedürfnisse sich melden und zu schauen, was man gerade in dieser Situation braucht.

Es gibt noch weitere Gründe sich mit der GFK zu beschäftigen. Hier ein paar Beispiele:

  • Du möchtest nicht länger diese ständigen Streitereien in Deiner Beziehung/Familie.
  • Du wünschst Dir mit Deinen Kindern einen wertschätzenden Umgang auf Augenhöhe.
  • Dir ist es wichtig, für Deine Bedürfnisse einzustehen, ohne Deine Mitmenschen zu verletzen.
  • Du möchtest die Kommunikation innerhalb Deines Teams verbessern.

Mit der GEWALTFREIEN KOMMUNIKATION hast Du also die Möglichkeit, mehr an das zu kommen, was Du DENKST, BRAUCHST oder FÜHLST und dies auch in einem Gespräch oder einer Konfliktsituation so anzubringen, dass eine Verständigung möglich ist. Das gilt nicht nur für Situationen mit Erwachsenen, sondern auch mit Kindern. Angenehmer Nebeneffekt: Kinder, die mit GFK aufwachsen dürfen, übernehmen diese Sprache ganz selbstverständlich.

Und damit wären wir bei einem weiteren wichtigen Punkt: GFK funktioniert auch dann, wenn Dein Gegenüber davon keinen blassen Schimmer hat. Vielleicht dauert es etwas länger, aber es funktioniert.

 

Die 4 Komponenten des GFK-Modells

Lust auf ein bisschen Theorie? 📖 Es wird interessant, versprochen. 🤩

Die GEWALTFREIE KOMMUNIKATION ist wie eine Sprache, die wir lernen können. Sie gibt Gesprächen und Gedanken eine gewisse Struktur, die wir sowohl auf uns als auch unser Gegenüber anwenden können. Das heißt, im Wesentlichen geht es um zwei Teile:

▪️Wir drücken uns ehrlich aus.

▪️Wir hören emphatisch zu.

 

Die „Struktur“ oder der Prozess, wie ihn Marshall B. Rosenberg nannte, besteht aus 4 Schritten:

💗 BEOBACHTUNG 💗
Wir beobachten, was andere sagen oder was gerade geschieht. Dies sollte keine Bewertung oder Beurteilung enthalten, sondern eine einfache Beschreibung. Warum? Weil mein Gegenüber sonst recht schnell eine Kritik raushört, wo vielleicht gar keine ist.

💗 GEFÜHLE 💗
Wir drücken aus, wie wir uns bei der Beobachtung fühlen: sind wir enttäuscht, fröhlich, verletzt oder amüsiert? Hierbei ist es wichtig, zwischen Gedanken und Gefühlen zu unterscheiden. Marshall B. Rosenberg empfiehlt sich einen Gefühlewortschatz aufzubauen.

💗 BEDÜRFNISSE 💗
Wir beschreiben, welches Bedürfnis hinter dem Gefühl steht. Das ist sicher einer der interessanteren Teile, da wir oft nicht genau wissen, welches Bedürfnis ein bestimmtes Gefühl anzeigt. (Mehr zum Thema Bedürfnisse findest Du hier: Bedürfnis versus Wunsch – Vom Wollen und Brauchen)

💗 BITTEN 💗
Wir formulieren eine ganz konkrete Bitte. Wir bitten um Handlungen, die unsere Lebensqualität verbessern und uns bereichern. 

 

Indem wir uns auf diese vier Bereiche fokussieren, wird es möglich, mit unseren Mitmenschen in Kontakt zu kommen und dabei unsere (Selbst-)Empathie zu entfalten.

Und wie schon erwähnt: GFK funktioniert auch dann, wenn Dein Gegenüber davon keinen blassen Schimmer hat. Dauert vielleicht länger, aber es funktioniert.

Im nächsten Teil zeige ich Dir konkrete Beispiele aus dem Familienalltag und wie Du da die GFK anwenden kannst.

 

Praxisbeispiele für GFK in der Familie

Ich beziehe mich bei den folgenden Beispielen auf typische Situationen, die Du so oder in ähnlicher Form vielleicht schon erlebt hast, und zeige Dir immer zwei Möglichkeiten auf damit umzugehen: quasi ohne und mit GFK. Schau doch einfach mal, welches Gefühl bei Dir jeweils aufkommt, wenn Du die beiden Varianten liest.

Vielleicht kriegst Du so ein besseres Gespür dafür, wie die GEWALTFREIE KOMMUNIKATION funktioniert und welche Chancen sich daraus ergeben. Und ich freue mich, wenn Du ein paar Impulse für Deinen Alltag mitnehmen kannst. 💗

 

Situation „Stress am Morgen“
Es ist Freitagmorgen, halb 8. Zeit loszugehen in den Kindergarten und ins Büro. Du hast gleich am Morgen einen wichtigen Termin und möchtest auf keinen Fall zu spät kommen. Dein Kind weigert sich beim Anziehen.

Variante 1 (ohne GFK):
„Jetzt zieh Dich ENDLICH mal an! Wir kommen zu spät und ich hab heute keine Zeit für dieses Theater!“

Variante 2 (mit GFK):
„Ich sehe, Du bist noch nicht fertig mit dem Anziehen. Ich bin unter Druck, denn ich möchte meinen Termin nicht verpassen. Kannst Du Dich bitte anziehen? Wenn Du möchtest, helfe ich Dir.“

 

Situation „Vor dem Einschlafen“
Es ist Zeit ins Bett zu gehen, Dein Kind jedoch hört nicht auf zu spielen. Keine Chance, es für das Bett fertig zu machen. Du merkst, wie der Ärger in Dir hoch steigt. Du weißt aus der Erfahrung: Wenn es abends zu lange dauert, steht Dein Kind morgens zu spät auf und es wird stressig.

Variante 1 (ohne GFK):
„Es reicht mit dem Spielen. Wenn Du jetzt nicht sofort herkommst, dann ist die Geschichte gestrichen!“

Variante 2 (mit GFK):
„Du spielst heute besonders gern mit Deinen Autos, hm? Ich bin besorgt, weil es schon spät ist. Es ist mir wichtig, dass Du genug Schlaf bekommst. Kannst Du bitte Deine Autos in die Kiste räumen? Ich suche schon mal ein Buch aus, das ich Dir gleich vorlese.

 

Situation „Das bisschen Haushalt“
Irgendwie hat es sich so eingeschlichen, dass ein Großteil der Hausarbeit an Dir hängen bleibt. Dabei könnte Dich Dein:e Partner:in schon mit wenigen Handgriffen unterstützen.

Variante 1 (ohne GFK):
„Nie kannst Du auch nur einen Handstrich im Haushalt machen. Immer muss ICH alles machen!!“

Variante 2 (mit GFK):
„Ich erledige in letzter Zeit den Großteil der Aufgaben im Haushalt. Ich bin damit unglücklich, weil ich dadurch nicht soviel Zeit für unsere Kinder habe wie ich gerne hätte. Kannst Du Dich bitte ab sofort um zwei Aufgaben kümmern? Du kannst Dir gerne aussuchen, welche Du übernehmen möchtest.“

 

Situation „Ungefragte Ratschläge“
Deine Eltern mischen sich immer wieder in Eure Erziehung ein und geben ungefragt Ratschläge. Dich macht das wütend, weil Du dadurch das Gefühl bekommst, keine gute Mutter/kein guter Vater zu sein.

Variante 1 (ohne GFK):
„Müsst Ihr Euch immer einmischen? Kann ich Euch denn gar nichts recht machen?“
(Eine alternative Reaktion wäre Kommunikationsabbruch und Rückzug, denn oftmals fällt es in dieser Beziehungskonstellation schwer offen zu sagen, wie man sich fühlt.)

Variante 2 (mit GFK):
„Ihr teilt Eure Erfahrungen bzgl. Kindererziehung mit mir. Ich bin wütend, wenn Ihr das tut. Es ist mir wichtig, dass Ihr mich als gute Mutter (guten Vater) wahrnehmt. Könnt Ihr mich bitte vorher fragen, bevor Ihr einen Rat gebt, ob ich diesen auch hören möchte?“

 

Situation „Schimpfen ohne Ende“
Der Tag war lang und anstrengend und Du kannst Dich nicht wirklich erinnern, dass Du außer Schimpfen was anderes getan hast. Dabei wolltest Du nie so eine Mutter bzw. so ein Vater werden.

Variante 1 (ohne GFK):
„Ich bin eine schlechte Mutter (ein schlechter Vater). Immer muss ich die Kinder schimpfen, dabei weiß ich doch, dass sie nichts dafür können. Ab morgen muss ich mich endlich mal zusammenreißen!“  

Variante 2 (mit GFK):
„Heute habe ich die Kinder immer wieder geschimpft. Ich ärgere mich über mein Verhalten, weil ich mit meinen Kindern so nicht sprechen möchte. Ich überlege mir zwei oder drei Alternativen, was ich beim nächsten Mal anders machen will.“

 

Eins noch: es geht nicht darum, auf irgendeine Weise alles richtig und perfekt zu machen (schaffen wir eh nicht, siehe Beitrag Du bist (gut) GENUG. – Über fast perfekte Eltern). Gewaltfreie Kommunikation bedeutet nicht zwanghafte Selbstoptimierung. Es bedeutet nicht, dass es keinen Streit oder keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Es bedeutet auch nicht, dass alle ab sofort im Modus „shiny happy people“ sind.

 

🗨️ Zudem braucht es etwas Übung, die GEWALTFREIE KOMMUNIKATION in den eigenen Alltag zu integrieren. 

Mir geht es da nicht anders als Euch. Ja, ich bin Familiencoach. Und gleichzeitig bin ich auch Frau und Ehefrau und Mutter und Freundin und noch so vieles mehr. Ich habe Gefühle und nicht nur positive (wobei ich Gefühle eigentlich nicht werten mag, aber Du weißt, was ich meine). Ich gehe auch an die Decke und an manchen Tagen ist die Zündschnur kürzer als der Toilettengang, wenn das Baby grad aufgewacht ist und schreit. 

Für mich hat sich die Auseinandersetzung mit der GFK deshalb gelohnt, weil ich damit lerne, bei mir zu bleiben. ICH übernehme die Verantwortung für meine Gefühle, denn mein Gegenüber – egal, ob Kind oder Erwachsene:r – kann nie verantwortlich dafür sein, wie ICH mich fühle. Gerade im Zusammenleben mit Kindern ist das wichtig, um sie bedingungslos lieben zu können.

 

Da ich mich immer über Impulse und Austausch freue, würde mich interessieren, welche Erfahrungen Du bisher zu dem Thema gemacht hast. Wie gehst Du damit um?

Ich freue mich über einen Kommentar oder eine Nachricht von Dir.

Bleibt rosa.
Eure Ramona