Ein Satz, der uns Eltern mindestens einmal über die Lippen geht und den wir wahrscheinlich selbst als Kind öfter mal gehört haben: „WENN Du nicht sofort X machst, DANN passiert Y.“ Egal, wie sehr wir uns anstrengen und ob wir das nun wollten oder nicht, unweigerlich geraten wir in eine Situation, in der wir Drohungen oder Strafen aussprechen… und uns vermutlich hinterher denken „Oh je, das ging nach hinten los.“ Zurück bleiben ein schales Gefühl, was das mit der Eltern-Kind-Beziehung macht, und die Ratlosigkeit darüber, ob und wie man das anders hätte lösen können.

Ihr findet Euch in der kurzen Beschreibung wieder? Prima, dann sag ich mal herzlich Willkommen im Club. Ihr seid nämlich nicht allein. Ich bin schon eine Weile dabei und die Eltern von nebenan. Ebenso die nette Mama aus dem Kindergarten, die eigentlich immer so tiefentspannt aussieht. Ja, und auch der Opa schaut immer wieder mal vorbei, der kennt den Club eh schon ein bisschen länger. 😉

 

Hier ein kurzer Überblick, was Dich in diesem Beitrag erwartet:

💗 Teil 1 – Wann drohen/strafen wir? Warum tun wir das?

💗 Teil 2 – Was macht das mit unserem Kind? Was macht das mit uns?

💗 Teil 3 – 5 Impulse, wie Du Drohen & Strafen vermeiden kannst.

 

Wann drohen/strafen wir? Warum tun wir das?

Ich wette, dass niemand, die/der gerade ein Kind erwartet, sich in schillernden Farben ausmalt, wie sie/er das Kind später mal bestrafen wird oder einen Satz sagt wie „Wenn du jetzt nicht sofort von der Schaukel runterkommst, dann gehen wir nie mehr auf den Spielplatz!“. 

Deshalb vermute ich auch, dass wir das mit dem Drohen und Strafen nicht bewusst oder absichtlich machen. Eltern arbeiten keine Strafenkataloge aus, die sie zu gegebenem Anlass zücken und anwenden. Denn dann kämen auch deutlich überlegtere – im Sinne von realistischere – Drohungen raus als im eben erwähnten Beispiel mit der Schaukel. Die Drohung NIE WIEDER auf den Spielplatz zu gehen hat ungefähr den gleichen Wahrheitsgehalt wie wenn mir mein knapp 3-jähriger Sohn erzählt, dass er im September auch in die Schule kommt wie seine große Schwester.

Kleine Randbemerkung: Sätze mit absoluten Aussagen wie NIE oder IMMER dürfen grundsätzlich kritisch hinterfragt werden. Egal, von wem sie stammen: einem wütenden 6-Jährigen oder einer übermüdeten 40-Jährigen. 

Irgendwo muss das mit dem Drohen und Strafen aber herkommen, sonst würden wir es nicht immer wieder tun oder uns so viel damit beschäftigen, es eben NICHT zu tun. Oder folgende Beispiele würden uns irritieren, dabei kennen wir sie meistens selbst sehr gut:

  • „Wenn du jetzt nicht dein Zimmer aufräumst, werfe ich alle deine Spielsachen weg.“
  • „Wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich ohne dich los.“
  • „Wenn du jetzt nicht aufhörst zu hauen, dann gehen wir sofort nach Hause.“

 

WANN drohen/strafen wir?

  • Wenn wir wollen, dass unser Kind das tut, was wir ihm sagen.
  • Wenn wir der Meinung sind, dass wir konsequent handeln müssen.
  • Wenn wir keinen anderen Ausweg wissen.

 

WARUM drohen/strafen wir?
Weil wir es nicht anders gelernt haben.

Letzen Endes sind Drohungen und Strafen ein Ausdruck unserer Hilflosigkeit. Uns fehlen die Alternativen, weil wir diese nicht oder nicht ausreichend erfahren haben. Wichtig: Es geht nicht darum, unseren Eltern die Schuld zu geben. So wie wir unsere Kinder lieben und wertschätzen können und gleichzeitig ein bestimmtes Verhalten nicht gutheißen, so können wir unsere Eltern lieben und wertschätzen und gleichzeitig ein bestimmtes Verhalten nicht gutheißen. Es geht also darum, die TATSACHE abzulehnen, dass Drohen & Strafen ein guter Weg ist, Kinder zu begleiten. Wir wissen mittlerweile so viel mehr darüber, wie Eltern-Kind-Beziehungen gelingen, aber auch scheitern können, was Drohungen & Strafen aber auch Lob mit unseren Kindern und uns machen –  es ist fast unmöglich das alles zu ignorieren und einfach nur weiterzumachen.

 

Was macht das mit unserem Kind? Was macht das mit uns?

In einer Situation, in der wir eine Drohung oder Strafe aussprechen, befinden wir uns in einem Machtkampf mit unserem Kind. Und hier herrscht eindeutig ein Machtgefälle, das wir ausnutzen (selbst wenn wir das nicht beabsichtigen), denn eins steht fest: Kinder sind besonders schützenswerte Menschen. Sie sind auf uns als Eltern angewiesen und uns bis zu einem gewissen Grad/Alter auch ausgeliefert.

 

Unser Kind verliert den Bezug zu sich selbst.
Das Kind nimmt Folgendes mit: sein Gehorsam steht an oberster Stelle. Wir erwarten, dass es sich dem fügt bzw. dem folgt, was wir sagen. Ansonsten folgt eine Strafe. Damit entfremden wir es von sich selbst, es richtet sich nach dem, was andere von ihm erwarten, und weniger nach dem, was es selbst möchte.

Hierzu ein sehr treffendes Zitat von Jesper Juul:

„Wenn Kinder zum Gehorsam erzogen werden, ergeht es ihnen im Leben meist schlecht, weil sie in ihrer Funktion als Befehlsempfänger nicht lernen, für ihr Leben persönliche Verantwortung zu übernehmen.“

 

Unser Kind verliert das Vertrauen in uns.
„Wenn…, dann“- Sätze sind Drohungen. Wir meinen vielleicht, damit die eigentliche Strafe umgehen zu können. Das Problem ist: findet diese nicht statt, wird das, was wir sagen für das Kind unglaubwürdig. Und das beschränkt sich leider nicht nur auf das Thema Drohungen. Langfristig verliert das Kind das Vertrauen in unsere Worte, egal ob es sich um eine Drohung oder etwas Nettes handelt.

 

Unser Kind kooperiert und zwar im negativen Sinne.
Das Ganze entwickelt sich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Kinder spüren in dem Moment, dass wir gar nicht daran denken, dass sie FREIWILLIG kooperieren könnten. Und mit der Zeit verhalten sie sich dann genauso, wie wir es scheinbar von ihnen erwarten. Das Paradoxe: dadurch kooperieren sie. In negativem Sinne zwar, aber sie kooperieren.

 

Wir erleben nicht unser individuelles, sondern ein verbogenes Kind.
Wir haben ein gehorsames Kind, das aus Angst vor Strafen so funktioniert, wie wir das möchten. Das ist dann nur leider nicht mehr UNSER Kind in seiner umfassenden Individualität, sondern ein verbogenes. Es hat gelernt, dass Liebe an Bedingungen geknüpft ist. (Wer tiefer in das Thema einsteigen möchte, dem lege ich das Buch „Frei und unverbogen“ von Susanne Mierau ans Herz.)

 

Wir überschreiten wichtige Grenzen.
Wenn wir die ersten Male Drohungen oder Strafen aussprechen, funktioniert das bei den meisten Kindern ganz gut. Der„schnelle Erfolg“ gibt uns also recht, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Irgendwann wird er jedoch ausbleiben, denn das Kind reagiert nicht (mehr) auf die Drohungen. Das tut es nicht, um uns „zu ärgern“, wie man oft zu hören kriegt, sondern weil es seine Integrität wahren muss. Das heißt, wir müssten härtere Drohungen aussprechen oder die Strafen dann auch umsetzen, um eine eine Wirkung zu erzielen. Das schaukelt sich immer weiter hoch und dann darf man sich die Frage stellen: Wo ist die Grenze? Wie weit können wir gehen?

 

Wir verlieren das Vertrauen in unser Kind.
Kinder, die Strafen befürchten, neigen vermehrt dazu zu lügen. Sie haben gelernt, dass sie bestraft werden, wenn sie etwas in unseren Augen Falsches tun. Je mehr/öfter sie uns anlügen, umso schwieriger wird es für uns, ihnen Glauben zu schenken. Das heißt, auch wir verlieren das Vertrauen in unser Kind und das, was es sagt.

 

Fazit: Strafen wirken sich negativ auf unsere Kinder und uns aus. Sie sind demütigend, ablehnend und vermitteln unserem Kind, dass es nicht gut genug ist und seine Bedürfnisse nicht respektiert werden. Auf Dauer führt das zu Vertrauensverlust und schlechten Beziehungen innerhalb der Familie. Das ist wiederum verheerend, da wir in der Familie die ersten Beziehungserfahrungen machen und diese Erfahrungen weitere Beziehungen in unserem Leben beeinflussen. 

Was können wir also stattdessen tun, um diese Negativspirale zu vermeiden oder zu beenden?

5 Impulse, was Du stattdessen tun kannst

Eins vorweg: es wird wahrscheinlich immer wieder mal passieren, dass Du eine Drohung oder Strafe aussprichst. Vor allem, wenn das schon öfter oder regelmäßig in Eurem Familienalltag vorgekommen ist. 

Sich das Ziel zu setzen „Ab heute drohe/schimpfe ich nie wieder“ klingt ehrenhaft, ist aber genauso unrealistisch wie „Ab heute esse ich keine Schokolade mehr“ (Außer Du hast die ärztliche Bescheinigung, dass Du beim nächsten Bissen tot umfallen wirst; dann könnte das klappen.). Es geht nicht darum, ab sofort alles richtig zu machen. Wie sieht „richtige Erziehung“ überhaupt aus und wer definiert sie? Perfekte Eltern gibt und BRAUCHT es NICHT. Wenn Du Zweifel hast, lies gerne diesen Beitrag hier: Du bist (gut) GENUG. – Über fast perfekte Eltern
Es geht darum, sich und sein Verhalten zu reflektieren. Und selbst hinter dem blödesten Satz, den wir sagen können, steckt erstmal eine positive Absicht. Wir wollen etwas sicherstellen, weil es für UNS einfach wichtig ist.

Die folgenden 5 Impulse sind genau das, was sie sein sollen: IMPULSE. Eine Einladung für Dich, mal einen anderen Weg auszuprobieren. Zu schauen, was dann passiert und ob der Familienalltag für Dich/Euch dadurch nicht etwas entspannter und gelassener wird. Auch auf die Gefahr, dass man 5 Minuten zu spät zum Arzttermin kommt. Nix Dogmatisches oder 5 strenge Regeln, mit denen Du garantiert nie wieder drohst oder strafst.

Fühl` Dich eingeladen. Bitteschön.

 

💗 BEWUSSTSEIN 💗
Wir werden geboren mit dem natürlichen Instinkt freiwillig zu helfen. Geh´ also davon aus, dass Dein Kind kooperieren WILL und kein Tyrann ist, der Dich ärgern möchte. Wenn es Dir gelingt, diese Grundhaltung einzunehmen, schaffst Du einen ganz anderen Einstieg in das Gespräch.

💗 ZUWENDUNG 💗
Gehe hin zu Deinem Kind und begib Dich auf Augenhöhe (wörtlich gemeint). Schau Deinem Kind in die Augen und sprich es mit Namen an. Nur so kannst Du sichergehen, dass Du seine Aufmerksamkeit hast, wenn Du mit ihm sprichst. Wir sprechen mit unserem Kind zu oft „aus der Ferne“ und sehen gar nicht, dass es viel zu vertieft in etwas ist, um uns zuzuhören.

💗 VERSTÄNDNIS 💗
Überlege: was braucht Dein Kind gerade, was brauchst Du? Ok, Du willst den Einkauf vorm Abendessen noch erledigt haben. Verstanden. Ist das Ziel ernsthaft in Gefahr, wenn Du noch 5 Minuten Schaukelzeit obendrauf gibst? Bestimmt findet sich beim Einkaufen eine kleine Aufgabe, die Dein Kind übernehmen kann (Wagen schieben, Gemüse wiegen, …).

💗 GELASSENHEIT 💗
Auch wenn die Situation schon recht festgefahren ist: Druck erzeugt Gegendruck. Wer das nicht glaubt, hat keine Kinder. :) Das Hilfsmittel für solche Situationen ist Gelassenheit. Und wenn Du dafür in dem Fall 2-3 Minuten Pause brauchst, nimm sie Dir. Gehe aus dem Raum, trinke einen Schluck Kaffee/Tee/Wasser, atme bewusst tief ein und aus, tue was immer Dich beruhigt. Die Zeit ist in der Regel immer, außer in Notfallsituationen. Aber in denen befinden wir uns in den seltensten Fällen.

💗 KOMMUNIKATON 💗
Kommuniziere klar, was Du möchtest. Statt „Wir müssen los! Wenn Du jetzt nicht von der Schaukel runterkommst, gibt es heute kein Abendessen!“ lieber „Ich brauche noch Zutaten für´s Abendessen. Die kaufen wir gleich gemeinsam ein. Aber erst schubse ich Dich noch 5 Mal auf der Schaukel an. Komm, wir zählen gemeinsam!“

 

Und was tun, wenn es mal aus dem Ruder gelaufen ist, d.h. die Strafe ist ausgesprochen, die Stimmung ist im Keller? Miteinander reden, aber am besten erst, wenn sich die Gemüter beruhigt haben. Das heißt, ZUSAMMEN mit dem Kind überlegen, wie Ihr die Situation künftig anders angehen könnt. Und es ist auch VÖLLIG OK, ausgesprochene Strafen zurückzunehmen und sich zu entschuldigen. Wer das bezweifelt, einfach mal machen. Der Überraschungseffekt liegt definitiv auf Eurer Seite, wetten?

 

Zum Schluss noch drei Impulsfragen für Euch, mit denen Ihr schauen könnt, wo Ihr gerade steht. 

Nimm eine ganz konkrete Situation, in der Du eine Drohung oder Strafe ausgesprochen hast.

  • Was wollte Dein Kind in dem Moment? Und was könnte die positive Absicht dahinter sein?
  • Woher kam bei Dir der Druck? Was war für Dich so besonders wichtig?
  • Wenn Du das nächste Mal in dieser Situation bist, was kannst Du stattdessen tun?

 

Da ich mich immer über Impulse und Austausch freue, würde mich interessieren, welche Erfahrungen Du bisher zu dem Thema gemacht hast. Wie geht Ihr mit damit um?

Ich freue mich über einen Kommentar oder eine Nachricht von Dir.

Bleibt rosa. 
Eure Ramona