In diesem Beitrag widmen wir uns einem Thema, das mir in Coachings immer wieder begegnet: Konflikte mit den eigenen Eltern. Meistens ist es eher ein Randthema, denn die Eltern, die zu mir ins Coaching kommen, haben erstmal ihre Konflikte mit ihren Kindern im Blick. Wenn wir dann gemeinsam genauer ins Familiensystem schauen, sehen wir, dass es durchaus auch Konflikte mit den eigenen Eltern gibt, die den Alltag belasten können.

Als ich dann kürzlich auf Instagram eine Umfrage startete, was bei die Beziehung zu den eigenen Eltern schwer macht, quoll mein Postfach förmlich über. Da hab ich mir gedacht, holen wir dieses vermeintliche Randthema doch mal aus seiner dunklen, staubigen Ecke und werfen einen genaueren Blick drauf. Gemeinsam geht das leichter, dachte ich mir, denn – das haben die Antworten auf Instagram gezeigt – es sind immer dieselben Konflikte, die genannt werden.

Bevor wir loslegen, noch ein wichtiger Hinweis. Das gilt eigentlich immer, aber hier nochmal ganz besonders: ich kenne deine Lebensrealität nicht im Einzelnen. Ich weiß nicht, wie alt du bist und wie alt deine Eltern sind. Das hat bei dem einen oder anderen Punkt durchaus Relevanz, weil ich bestimmte Dinge auch in einen zeitlichen Kontext einordne. Und natürlich weiß ich auch nichts über die Beziehung, die du mit deinen Eltern führst oder vielleicht auch nicht führst.

Eine Eltern-Kind-Beziehung ist nie frei von Konflikten, von schmerzhaften Erfahrungen. Keine zwischenmenschliche Beziehung ist das, wenn wir es ganz genau nehmen. Wer mir schon eine Weile folgt oder diesen Podcast hört, der weiß, dass ich immer auch mit einem Augenzwinkern und einem gewissen Humor auf Themen schaue. Weil es auch mal gut tut, wenn man für einen Moment die Schwere raus nimmt. Das kann hier bei diesem Thema für dich nicht immer passend sein.

Deshalb möchte ich dich dazu ermutigen: nimm mit, was dir gut tut und was sich für dich stimmig anfühlt. Lass liegen, was nicht zu dir und deinem Leben passt. Du findest hier keine Wahrheiten, sondern Ideen und Perspektiven, die dir die Möglichkeit geben, auch mal von einer anderen Stelle auf etwas zu schauen. OB du das tun möchtest und WAS du daraus mitnimmst, diese Entscheidung liegt voll und ganz bei dir. Denn nur du kannst das, was du hier hörst, in DEINEN Kontext einordnen.

 


Falls du den Beitrag lieber hören statt lesen willst, dann findest du hier die Podcastfolge „Konflikte mit den eigenen Eltern“:


 

Welche Konflikte gibt es?

Dann schauen wir uns doch zu allererst an, welche Konflikte so in der Beziehung zu unseren eigenen Eltern aufkommen. Ich hatte ja schon erwähnt, dass in den Antworten auf diese Frage immer wieder die gleichen Dinge genannt wurden. Deshalb findest du im Folgenden einfach mal ein paar dieser Antworten:

  • „Es werden immer wieder Grenzen überschritten.“
  • „Ich musste früher viel tragen. Meine Eltern stritten viel und ich war die Vermittlerin.“
  • „Ich fühle mich bevormundet. Es heißt immer Also ICH hätte das ja so gemacht, aber du darfst natürlich machen, was du möchtest.“
  • „Meine Mutter kann nicht loslassen und klammert sehr. Viele Nachrichten und Anrufe. Es ist nie genug.“
  • „Geschenke als Sprache des Herzens; so viel überflüssiges Zeug und Süßkram.“
  • „Meine Eltern sind geschieden und reißen sich drum, wer wann und wie häufig kommen kann.“
  • „Wenn sie die Kinder beschämen, blutet mein Herz.“
  • „Meine Eltern können meinen bedürfnisorientierten, gleichwürdigen Erziehungsstil nicht annehmen.“
  • „Es gibt von meinen Eltern oft engstirnige, teils diskriminierende Aussagen.“
  • „Keine konkreten Konflikte. Eher alte Gefühle, die hochkommen, wenn wir uns treffen.“
  • „Alles, was wir anders machen als sie, wird als persönlicher Angriff gewertet.“

Das war jetzt ein Auszug aus den vielen Antworten, und ich weiß nicht, wo oder wie oft du genickt hast, denn die Themen wiederholen sich. Ich bring da jetzt einfach mal ein bisschen Struktur rein und fasse die Antworten zusammen. Im Wesentlichen fallen sie nämlich unter eines der folgenden Themen:

  • Thema 1: UNEINIGKEIT IN ERZIEHUNGSFRAGEN
  • Thema 2: EINMISCHEN IN ERZIEHUNG/LEBEN
  • Thema 3: ERWARTUNGEN UND ANSPRÜCHE
  • Thema 4: ROLLENTAUSCH
  • Thema 5: ALTES UND UNGELÖSTES

Das sind natürlich keine voneinander losgelösten Themen, sie hängen ganz oft miteinander zusammen bzw. bedingen sich gegenseitig. So kann die Uneinigkeit, was die Erziehung deiner Kinder angeht, dazu führen, dass sich deine Eltern einmischen. Trotzdem würde ich gerne die Themen erstmal ein gesondert anschauen, weil das bei der Einordnung hilft und vielleicht für mehr Klarheit sorgt.

Thema 1: UNEINIGKEIT IN ERZIEHUNGSFRAGEN.

Da prallen oft Welten aufeinander, wenn nicht sogar ganze Universen. 

  • Du bemühst dich, dass dein Kind möglichst wenig Süßigkeiten isst und kaum sind Oma/Opa da, ist schwuppdiwupp ein Überraschungsei im Kindermagen gelandet. 
  • Ihr seid bei deinen Eltern beim Essen, das Kind findet das Essen im Sitzen langweilig und turnt eher durch die Gegend rum. Es folgt ein abschätziger Blick oder vielleicht ein Kommentar nach dem Motto „Also, früher hätte es das nicht gegeben.“.
  • Dein Baby liegt im Kinderwagen und schreit. Während du es rausnimmst, hörst du von deinen Eltern „Ach, ihr habt früher auch immer gebrüllt. Hat euch ja auch nicht geschadet.“

Diese drei ganz banalen Beispiele zeigen recht deutlich, wie sich die Uneinigkeit in den Alltag schleicht. Denn es ist ja in der Regel nicht so, dass wir mit unseren Eltern offen über verschiedene Erziehungsstile diskutieren, damit wir uns dann einig darüber sind, dass wir uns uneinig sind.

Nein, die Uneinigkeit kommt eher durch die Hintertür und hockt plötzlich wie ein großer Elefant auf dem gläsernen Wohnzimmertisch. Und richtig schwierig wird es dann, wenn man für sich selbst noch keine Klarheit hat, wie man mit bestimmten Dingen wie Süßigkeiten, Medienkonsum etc. umgehen möchte. Das entwickelt sich ja erst im Laufe des Elternseins. Es gibt so viele Fragezeichen in und über unseren Köpfen, für die wir nicht immer sofort eine Antwort parat haben. ODER: wir haben eine, aber es ist die unserer Eltern. Und irgendwas in uns geht in den Widerstand, weil wir das Gefühl haben „Ganz so will ich das jetzt auch nicht machen“. Aber für den Moment fehlt einfach noch die Alternative.

Thema 2: EINMISCHEN IN DIE ERZIEHUNG/DAS LEBEN 

  • „Was ihr da immer für einen Wind macht mit dieser Eingewöhnung. Du bist doch auch immer gerne in den Kindergarten gegangen, ganz ohne Eingewöhnung.“
  • „Meinst du nicht, es wäre an der Zeit, dass die Kleine mal durchschläft?“
  • „Also, ich würde einen Jungen ja kein Kleid tragen lassen.“

Ungefragte Ratschläge sind wirklich so ein Ding, v.a. wenn sie von den eigenen Eltern kommen. Ich hatte ja schon erwähnt, dass Elternschaft etwas ist, das mit viel Unsicherheit und Nicht-Wissen verbunden ist. Am Anfang sehr stark, aber wirklich aufhören tut das nie. Es wird für uns als Eltern immer wieder irgendwelche ersten Male geben.

Wenn wir dann in diesem sensiblen Moment der Unsicherheit, wo wir gerade selber noch dabei sind, uns zu orientieren, einen Ratschlag bekommen, nach dem wir nie gefragt haben, dann macht uns das vieles, aber nicht wirklich sicherer. Weil es von den eigenen Eltern nicht als Impuls daher kommt, den man aufgreifen kann oder nicht, sondern als „Mach das so“.

Und – ganz wichtig – es muss noch nichtmal unbedingt so von den Eltern gemeint sein, aber wir hören das so. Und dann fühlen wir uns in unserer eigenen Entwicklung beschnitten, wir haben nicht die Chance, eigene Erfahrungen zu sammeln und schlauer zu werden, weil es ja schon jemanden gibt, der schlauer ist.

Thema 3: ERWARTUNGEN UND ANSPRÜCHE

Wer ruft wen an? Wer besucht wen? Und wie oft? Wie machen wir das zu diversen Feiertagen wie Geburtstage, Weihnachten etc.? Sind die eigenen Eltern in den Familienalltag und die Fürsorgeaufgaben rundum das Kind eingebunden? Und wenn ja, wie viel ist zumutbar? Wie viel ist zu viel? Und für wen? 

Ihr seht, die Fragezeichen werden im Laufe dieses Beitrags nicht unbedingt weniger. Sorry. All diese Fragen zeigen, dass da viele verschiedene Erwartungen und Ansprüche im Raum sind, und zwar in alle Richtungen. Unsere Eltern erwarten vielleicht von uns, dass wir uns drei Mal die Woche melden. Wir erwarten, dass sie von sich aus auch mal das Kind oder die Kinder übernehmen, damit wir einen Paarabend oder was auch immer machen können. Eltern, die mit uns im selben Haus wohnen, haben automatisch den Anspruch an sich, dass sie unsere Kinder mit erziehen, während wir den Anspruch haben, dass das unsere alleinige Aufgabe ist. 

Problematisch werden die Erwartungen und Ansprüche vor allem dann, wenn sie nicht deutlich kommuniziert werden, sondern wenn sie immer so durch den Raum wabern. Jede:r sieht oder spürt sie, keine:r spricht darüber. Wichtig ist zu erkennen, dass dieses Thema mit den Erwartungen und Ansprüchen in den wenigsten Fällen eine Einbahnstraße ist, also dass immer nur unsere Eltern was von uns einfordern. Auch wir stellen immer wieder Erwartungen an sie, die wir nicht klar und deutlich formulieren, sondern eher in verschwurbelten Sätzen wie „Herrje, schon wieder so viel Schokolade für den Kleinen“ von uns geben.

Thema 4: ROLLENTAUSCH

Was ist damit gemeint? In den meisten Eltern-Kind-Beziehungen findet irgendwann eine Art Rollentausch statt. Das heißt, dass sich nicht unsere Eltern um uns kümmern, sondern dass wir uns um sie kümmern. Da wird dann die kranke Mutter zuhause gepflegt, der demente Vater regelmäßig im Pflegeheim besucht. Und oft passiert das parallel, während wir selbst noch teilweise kleine Kinder haben, die uns viel brauchen.

Auf der einen Seite stehen die Tätigkeiten, die mit dem Rollentausch verbunden sind. Auf der anderen Seite ist es die Herausforderung auf emotionaler Ebene. Die Person, die dich zur Welt gebracht hat, dich gewaschen, gewickelt und gefüttert hat, wird nun von dir (oder von anderen Menschen) gewaschen, ggf. gewickelt und gefüttert. Und selbst wenn unsere Eltern nicht immer gleich einen Pflegebedarf haben, ab einem gewissen Zeitpunkt kommen Erkrankungen oder gesundheitliche Einschränkungen dazu, die dazu führen, dass wir uns Sorgen machen. Plötzlich kommen ganz grundlegende Fragen auf: Wie viel Zeit haben wir noch gemeinsam? Was werden wir noch miteinander erleben können? usw. 

Dieser Rollentausch bedeutet tatsächlich weniger einen Konflikt mit den eigenen Eltern als einen inneren Konflikt, weil wir die sind, um die sich gekümmert wurde, denen vor einem Jahr noch ungefragter Ratschlag mitgegeben wurde, und die sich jetzt plötzlich kümmern. In diesem Spannungsfeld ist es schwer bzw. dauert es seine Zeit, bis wir unsere Rolle finden.

Thema 5: ALTES UND UNGELÖSTES

Damit ist das gemeint, was die Beziehung zu und mit unseren Eltern schon länger belastet und nicht erst, seitdem wir selbst Kinder haben. Interessanterweise kommen solche Dinge ab diesem Zeitpunkt verstärkt auf den Tisch, aber sie sind eigentlich schon viel älter. Dazu wird es demnächst mal einen eigenen Beitrag geben, weil das Thema so umfangreich und teilweise auch komplex ist, dass es den Rahmen hier sprengen würde. Aber ich möchte es hier auch nicht ausklammern, weil es so wichtig ist. Deshalb versuche ich es, in stark verkürzter Form zu erklären. 

Eine Eltern-Kind-Beziehung ist nie konfliktfrei, selbst dann nicht, wenn das Kind noch ein sehr kleines Kind ist. Und im Zuge dieser Konflikte kommt es zu Verletzungen unterschiedlicher Art. Sehr viele Verletzungen sind sehr klein und heilen wieder, weil dem etwas gegenüber steht: Liebe und Fürsorge. Aber es gibt auch immer wieder mal Verletzungen, die ihre Spuren hinterlassen. Wir haben sie nicht ständig vor Augen und sind uns ihrer nicht immer bewusst, aber sie sind da. Und wir tragen sie weiter mit in unser Leben hinein und natürlich auch in unsere Beziehung zu den eigenen Eltern.

Deshalb kann es passieren, dass eine solche Verletzung plötzlich wieder ans Tageslicht kommt, wenn wir selber Eltern werden. Weil wir uns in diesem Zusammenhang natürlich auch mit unserer eigenen Kindheit auseinandersetzen. Uns fallen plötzlich wieder viele verschiedene Momente und Situationen ein. Die eine Erinnerung berührt und wärmt uns erneut, während eine andere Erinnerung nochmal schmerzt. Und das kann zu einem späteren Zeitpunkt in unserem Erwachsenenleben einen erneuten Konflikt mit unseren Eltern auslösen oder zwischen uns und unseren Eltern stehen.

Jetzt habe ich die vielen Antworten diesen fünf verschiedenen Themen zugeordnet. Ich wiederhole sie, damit du sie nochmal vor Augen hast. Die Themen waren UNEINIGKEIT IN ERZIEHUNGSFRAGEN, EINMISCHEN IN DIE ERZIEHUNG/DAS LEBEN, ERWARTUNGEN UND ANSPRÜCHE, ROLLENTAUSCH, ALTES UND UNGELÖSTES.

 

Warum sind diese Konflikte überhaupt da?

Die spannende Frage ist – und die stelle ich meinen Klient:innen auch immer wieder: Warum gibt es diese Konflikte? Als Antwort kriege ich meistens sowas zu hören wie „Weil meine Mutter oder mein Vater dies erwartet bzw. jenes tut, obwohl sie/er das nicht tun sollte.“. Kurz gesagt: weil irgendjemand etwas falsch macht. Und das wäre eine ganz einfache Antwort, die/der Schuldige ist gefunden, die/der Andere muss sich ändern, dann wird es besser. Leider greift das viel zu kurz. Und damit wir eine umfangreichere Antwort darauf kriegen, ändere ich die Frage. Ich frage nicht „Warum gibt es diese Konflikte?“ sondern „Was macht diese Konflikte möglich?“.

Die naheliegendste Tatsache, die dazu führt, dass es diese Konflikte gibt, ist die, dass wir eine andere Generation sind als unsere Eltern. Wir sind unter anderen Bedingungen aufgewachsen, wir haben andere Erfahrungen gemacht. Es gibt anderes, d.h. neues und vor allem mehr Wissen über die Dinge, auch über Themen wie Kindererziehung. Unsere Eltern haben noch mehrheitlich gehört, dass das Schreien der Babys die Lungen stärkt und man es ruhig schreien lassen kann. Ob sie sich damals mit diesem Ratschlag von außen so viel besser gefühlt haben, ich wage es zu bezweifeln. Aber welche Wahl hatten sie? Es gab kein Internet zum Nachlesen, keine oder nur ganz ganz wenige Bücher über Bindung. Sie konnten und mussten oft dem folgen, was ihnen gesagt wurde. Heute wissen wir so vieles mehr.

Was macht die Konflikte noch möglich? Ich hatte es vorhin schon mal erwähnt: auch unsere Eltern tragen Altes und Ungelöstes mit sich rum. Aus unterschiedlichen Gründen. Meistens hatten sie gar nicht die Möglichkeit, sich darüber Gedanken zu machen. Wir können uns an so vielen Punkten aktiv Unterstützung und Begleitung holen. Therapie, Coaching und ähnliche Angebote waren für unsere Eltern schlicht nicht möglich – „Was sagen denn die Leute!?“ – oder einfach gar nicht existent. Leider ist es heutzutage wieder sehr schwierig, die passende Unterstützung zu bekommen, gleichzeitig wächst das Bewusstsein innerhalb unserer Gesellschaft dafür und wir fangen an, gemeinsam über unsere Probleme, über Erkrankungen zu sprechen.

Ein weiterer Punkt, der Konflikte mit unseren Eltern begünstigt: wir haben kein Bewusstsein für die verschiedenen Übergänge. Das Heranwachsen, also die Pubertät, hat noch verhältnismäßig viel Raum, aber die vielen Übergänge im Laufe unseres Lebens sehen wir nicht. Was passiert denn mit mir und der Beziehung zu meiner Mutter, wenn ich zum ersten Mal Mutter werde? Wir treffen uns doch dann plötzlich in einem Paralleluniversum, in dem wir dieselbe Rolle haben, in dem ich vermutlich ähnliche Erfahrungen mache wie meine Mutter damals. Wie begegnen wir uns da? Sind wir auf Augenhöhe? Und was mit der Tochter, die ich auch ja auch noch bin?

Der nächste Übergang ist der Rollentausch, den ich schon erwähnt hatte. Also der Punkt, wenn wir uns um unsere Eltern kümmern und sie sich nicht mehr um uns, weil sie krank geworden sind. Auch hier ruckelt´s im Familiensystem, auch hier steht immer wieder die Frage im Raum: Was verändert sich gerade? Und was macht das mit jedem Einzelnen von uns?.

Wir müssen uns vor Augen halten: Ein Familiensystem ist permanent mit Veränderungen konfrontiert, im Kleinen wie im Großen. Und wir sehen diese Übergänge oft nicht bzw. nutzen sie nicht in der Form, dass wir uns Gedanken darüber machen und reinspüren, was hier gerade passiert und was das mit uns macht. Wir stellen uns auch gar nicht so die Frage, wie wir das gemeinsam gestalten wollen, sondern meistens machen wir einfach.

Und damit kommen wir zum letzten wichtigen Punkt, der Konflikte mit den eigenen Eltern möglich macht: eine schwierige oder belastete Kommunikation. Viele von uns wurden noch groß mit der Haltung, dass Kinder zu gehorchen haben, dass Erwachsene alles wissen und immer recht haben. Da gilt es keine Widerworte zu geben. Nun sind wir aber mittlerweile selber erwachsen, was uns nicht daran hindert, in diese alten Rollen inklusive der damit verbundenen Handlungsmuster zu rutschen. Die Art und Weise, wie wir mit unseren Eltern kommunizieren ist stark davon geprägt, wie wir diesbezüglich aufgewachsen sind. Oftmals verändert sich die Kommunikation, wenn wir älter werden, weil wir unsere Eltern uns als erwachsene Menschen wahrnehmen und auch so mit uns sprechen. Oftmals aber lassen sie das Kind in uns nicht los, ebenso wenig wie den eigenen Anspruch, als Eltern das letzte Wort zu haben.

Die Frage ist also: wie reden wir miteinander? Wie offen sind wir im Umgang? Was können und wollen wir uns anvertrauen und wo haben wir vielleicht auch Angst, verletzt zu werden? Wie viele Widerworte werden geduldet? usw.

 

Wie gehen wir mit diesen Konflikten um?

So, jetzt sind wir eine ganze Ecke gscheiter geworden : wir wissen, welche Konflikte zwischen uns und unseren Eltern auftreten und was diese Konflikte möglich macht. Was fangen wir mit all dem Wissen jetzt an? Darauf gehe ich jetzt im letzten Teil ein, in dem es um die Frage geht, WIE gehe ich mit den Konflikten um?

Ich bin so ganz grundsätzlich keine Freundin von Allround-Anleitungen für alles und jeden. Weil die meistens zu kurz greifen. Aber tatsächlich ist es in diesem Fall so, dass ich dir ein grundsätzliches Vorgehen empfehlen kann, wenn du merkst, bei euch knirscht und kracht es im Alltag immer wieder. Wobei auch hier wieder gilt: nimm mit, was sich für dich gut anfühlt und lass liegen, was nicht passt.

Im Wesentlichen sind es 5 Schritte, die du dir mal anschauen kannst:

Der erste Schritt besteht darin, sich den Konflikt überhaupt erstmal bewusst zu machen bzw. ihn anzunehmen. Familienkonflikte werden oft eingelullt in einen Nebel voller Harmoniebestreben, weil viele Menschen immer noch der Auffassung sind, dass in einer guten, glücklichen Familie nicht gestritten wird. Das ist absoluter Quatsch. Es geht nicht darum, ob wir streiten, sondern WIE wir streiten.

Wenn wir es also schaffen, diese ganze Harmonie mal beiseite zu schieben und die Tatsache anerkennen, dass wir hier einen Konflikt mit unseren Eltern haben, dann ist schon viel gewonnen. Vielleicht klingt das für dich total easy, dann ist das wunderbar. Vielleicht hast du Angst, das zuzulassen, weil die Beziehung zu deinen Eltern eh schon immer auf wackligen Beinen steht und du dir nicht sicher bist, was das jetzt mit euch machen wird. Dann lass dir eines sagen: du musst den Konflikt, der da schwelt, erstmal noch gar nicht offen bei ihnen ansprechen. Im Prinzip weiß eigentlich eh jeder, dass da was ist. Man spricht halt nicht drüber und daran musst du auch erstmal überhaupt nix ändern.

Was mich direkt zum zweiten Schritt bringt. Wir sind oft so unglaublich lösungsorientiert. Ist ein Problem, zack, zaubern wir eine Lösung aus dem Ärmel. Problem vorbei, weiter geht´s. Das hilft oft, aber nicht immer. Gerade bei sowas wie Konflikten mit den eigenen Eltern kann es extrem hilfreich sein, sich Zeit zu nehmen. Denn diese Konflikte sind in den aller seltensten Fällen nigelnagelneu und erfordern, dass wir sofort handeln müssen. Also ist es durchaus gut, diesem ersten Impuls zu widerstehen und sich Zeit zu nehmen. Um sich dann folgende Fragen anzuschauen:

  • Mit wem habe ich gerade oder auch seit längerem diesen Konflikt? Ist es meine Mutter, mein Vater oder sind es vielleicht beide?
  • Und was ist da genau los? Wer sagt, tut, denkt was?

Im dritten Schritt schaust du dir deine Gefühle und die dahinter liegenden Bedürfnisse an. Dieser Konflikt macht ja etwas mit dir: Vielleicht fühlst du so etwas wie Wut oder Enttäuschung. Oder fühlst dich überrumpelt, nicht gesehen… Da gibt es ganz viele Möglichkeiten und es lohnt sich wirklich da genauer hinzuschauen und nicht immer gleich das erstbeste zu nehmen, was sich auftut. Wichtig ist es auch, dass du komplett bei dir bleibst und die Gefühle und Gedanken, die aufkommen, auch nicht bewertest. Das ist nicht immer ganz leicht, aber mit ein bisschen Übung klappt das immer besser. Also stell dir z.B. folgende Fragen, wenn du an den Konflikt denkst:

  • Was fühlst du?
  • Welche Gedanken kommen in dir hoch?
  • Was ist dir wichtig, was vielleicht auch grad zu kurz kommt?

Nachdem du dich mit deinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen beschäftigt hast, versuche jetzt im vierten Schritt mal die Perspektive deiner Mutter und/oder deines Vaters einzunehmen. Hier kann man sich einen Grundsatz aus dem Coaching als Unterstützung dazu holen, der sagt „Hinter jedem Verhalten steckt eine positive Absicht, auch wenn wir sie selbst nicht als solche erkennen“. Das heißt nicht, dass wir alles gut finden müssen, was unsere Eltern tun oder sagen. Wir dürfen das auch richtig doof finden. Und gleichzeitig kann eine positive Absicht dahinter stecken, die wir bisher noch nicht gesehen haben.

Deshalb stellst du dir jetzt nochmal dieselben Fragen wie eben, nur aus Perspektive deiner Eltern:

  • Was glaubst du, fühlt deine Mutter/dein Vater?
  • Was denken sie sich speziell bei diesem Konflikt?
  • Was könnte ihnen wichtig sein, was vielleicht auch grad zu kurz kommt?

Und nun kommen wir zum letzten, dem fünften Schritt. Hier geht es darum, dass du für dich den Umgang mit dem Konflikt findest, der sich für dich richtig und stimmig anfühlt. Wir können andere Menschen nicht ändern, wir können nur uns selbst ändern oder unseren Umgang mit diesen Menschen. Und wie das genau aussieht, ist individuell sehr unterschiedlich. Manche Menschen entscheiden sich bewusst dafür, dem Konflikt künftig aus dem Weg zu gehen oder das nicht mehr so an sich ranzulassen. Andere suchen aktiv das Gespräch mit den Eltern, um den Konflikt zu besprechen. Und wiederum andere ändern in der Konfliktsituation ihr Verhalten, wodurch plötzlich ein völlig anderer Ausgang möglich wird. Das alte festgefahrene Muster von Verhalten und Reaktion wird durchbrochen.

Ich weiß nicht, wofür du dich entscheidest. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Deshalb gebe ich dir für diesen letzten Schritt folgende Fragen mit:

  • Welche Erkenntnisse ziehst du aus den vorherigen Schritten und Fragen?
  • Was ist dir dadurch bewusst geworden, was vorher noch nicht da war?
  • Wie möchtest du das nächste Mal damit umgehen, wenn der Konflikt aufkommt?
  • Was wirst du ganz konkret tun? 
  • Wie kann das gelingen?

 

Konflikte mit den eigenen Eltern, v.a. wenn sie schon sehr lange da sind, verschwinden nicht wie von Zauberhand. Auch nicht mit diesen fünf Schritten. Aber sie können und dürfen sich verändern. Wir sind diesen Konflikten nicht ausgeliefert und müssen dabei zusehen, was sie mit uns und der Beziehung zu unseren Eltern machen. Vielleicht wünschen wir uns, dass unsere Eltern den ersten Schritt tun. Vielleicht braucht es aber auch den Mut der jüngeren Generation, hinzuschauen und Dinge anders zu machen. 

Ich habe es oft erlebt, in den Coachings aber auch selbst, dass Konflikte ihren Schrecken und auch ihre Wirkung nach und nach verlieren, wenn wir sie uns anschauen. Eigentlich haben sie auch nichts Böses im Sinne. Vielmehr zeigen sie uns „Dir ist da was wichtig, was zu wenig Raum bekommt“. Und es ist nie zu spät, diesen Raum aufzumachen.

 

Ich wünsche dir spannende Erkenntnisse und vielleicht im Anschluss gute Gespräche mit deinen Eltern. Und wenn du möchtest, darfst du deine Erkenntnisse gerne mit mir teilen.

 

Bleibt rosa.
Eure Ramona