Zur diesem Beitrag wurde ich inspiriert, als ich kürzlich das Buch MYTHOS MUTTERINSTINKT von Annika Rösler und Evelyn Höllrigl-Tschaikner las. Annika war in der letzten Podcastfolge auch mein Gast. Falls du sie noch nicht gehört hast, mag ich sie dir ans Herz legen. Die ganz knappe und kurze Botschaft aus diesem Gespräch, damit du verstehst, wo ich hier ansetze: es gibt keinen Mutterinstinkt, der sich qua Schwangerschaft und Geburt eines Babys über uns ergießt und als Mutter immer automatisch das Richtige tun lässt. 

Zugegeben, es braucht ein bissl, damit sich diese Erkenntnis, die sich ja auch neurowissenschaftlich bestätigen lässt, bei uns ankommt. Es geht nämlich weniger darum, dass sie im Kopf ankommt, sondern in unserem Herzen. An vielen Punkten sorgt sie für Erleichterung. Der Druck von „Ich muss das jetzt sofort alles können“ wird weniger und fällt vielleicht sogar ganz weg. Das kann übrigens auch nachgelagert passieren, wenn dein Kind bzw. deine Kinder schon älter sind. Mir ist es zumindest so ergangen, als ich mich durch das Buch und das Gespräch damit auseinandergesetzt habe.

Neben all der Erleichterung, die sich da vielleicht breit macht, kann aber auch eine Lücke entstehen, denn ohne Mutterinstinkt: wer sind wir als Mutter denn dann? Fehlt uns da nicht ein ganz entscheidender Teil, um diese sehr lebensverändernde Rolle auszufüllen, sie zu ERfüllen?

Wir schauen auch mal darauf, was vorher da war, als es noch kein Kind in unserem Leben war. Wer waren wir damals? Vielleicht gibt es Anteile, die seit dem du Mutter bist, wie verschollen sind, und die du vermisst? Oder du entdeckst Anteile deines Ichs, die ihre Zeit hatten und von denen du dich auch verabschieden magst.

Und ganz zum Schluss widmen wir uns der Frage: Wer möchte ich NOCH sein? 

 


Falls du den Beitrag lieber hören statt lesen willst, dann findest du hier die Podcastfolge „Wer bin ich, wenn ich (nicht gerade) Mutter bin?“:


 

Wer bin ich als Mutter?

Dann gehen wir nochmal zu dem Punkt bzw. zu der Erkenntnis: es gibt keinen Mutterinstinkt. Also nicht im Sinne von „Du hast grad ein Kind auf die Welt gebracht und weißt allein durch die Schwangerschaft und die Geburt immer und jederzeit, was zu tun ist.“ 

Ein wichtiger Hinweis zur Erklärung: Dass wir im Laufe des Elternseins ein Gefühl für unser Kind entwickeln, weil wir es kennenLERNEN, weil wir Erfahrungen sammeln, das steht hier gar nicht zur Diskussion. Das ist damit auch nicht gemeint. Es gibt dieses Band, das durch Fürsorge, durch Zuwendung und Beziehung immer stärker wird, das uns durch harte Phasen bringt ohne dass wir uns und den Kontakt zu unserem Kind verlieren. 

Aber dir ist es vielleicht schon aufgefallen: ich spreche ganz bewusst vom ELTERNsein und das deshalb, weil das sowohl die Mutter ALS AUCH den Vater betrifft, weil dieses KennenLERNEN und Erfahrungen sammeln nicht auf biologische Eltern oder die klassische Mutter-Vater-Kind-Konstellation beschränkt ist. Das kann jede:r Mensch, der sich bewusst dafür entscheidet, sich um ein Kind zu kümmern, es zu versorgen und bei seiner Entwicklung zu begleiten.

Es kann gut sein, dass du jetzt nickst und dir denkst „Ach, interessant. Ja, das klingt plausibel mit dem Mythos Mutterinstinkt. Das macht absolut Sinn für mich.“. Es kann aber auch sein, dass sich in dir Widerstand regt, du ansetzen möchtest zu einem lauten „Ja, ABER…“. Dann lass mich dir sagen: Der Widerstand darf sein. Wir müssen ihn nicht aussperren oder ignorieren. Wir schauen jetzt einfach mal, ob er sich im Laufe dieses Beitrags verändert.

Die Frage „Wer bin ich als Mutter?“ mag erstmal schwer daher kommen. Weil wir da natürlich bei unserer Identität ansetzen, die durch unser Muttersein beeinflusst und ein Stück weit auch geformt wird. Aber die Schwere kommt nicht dadurch, dass wir fragen, WER wir als Mutter sind. Sondern sie kommt eher da her, dass automatisch ein WIE mitkommt, also WIE bin ich als Mutter?

Das heißt, wir sind sofort im BeWERTEN, BeURTEILEN und ja, manchmal auch beim VERurteilen. Wir fangen an uns zu vergleichen, schielen auf die anderen, die scheinbar alles so perfekt machen, und bleiben zurück mit einem faden Beigeschmack. Oder wir definieren uns anhand unserer Erfahrung mit der eigenen Mutter, indem wir festlegen „Ich weiß nicht, welche Mutter ich bin. Hauptsache, anders oder das Gegenteil meiner Mutter.“. Aber auch hier landen wir am Ende genauso wieder beim Bewerten, Beurteilen, Verurteilen. Darum soll es hier und heute nicht gehen. Heute konzentrieren wir uns wirklich mal auf das WER.

Und damit das jetzt ein bisschen greifbarer wird, erzähle ich dir einfach mal, wer ICH als Mutter bin, und zwar in der aktuellen Phase meines Lebens. Denn auch das Muttersein ist keine feste Konstante, nur weil die Mutter immer als DER SICHERE HAFEN des Kindes dargestellt wird. Die Sicherheit ist nicht dadurch gegeben, dass wir eine starre Mutterfigur sind wie in Beton gegossen, aber dazu kommen wir später noch.

Also, wer bin ICH als Mutter? Ich habe mir als Vorbereitung für diesen Beitrag echt Gedanken gemacht, denn auch für mich war es gar nicht leicht diese Frage zu beantworten. Ich würde sagen, ich bin

  • eine Beobachterin, die lernt
  • eine Umarmerin, die fühlt
  • eine Führende, die Halt gibt
  • eine Verzweifelte, die sich sorgt
  • eine Kritische, die vieles hinterfragt
  • eine Müde, die in der Stille auftankt
  • eine Lustige, die Schärfe rausnimmt

Natürlich bin ich das nicht immer zu gleichen Teilen bzw. gibt es Momente, in denen bestimmte Teile stärker auftreten als andere. Und natürlich bin ich auch noch viel viel mehr als das. Aber es geht nicht darum, dass ich dir in epischer Breite erzähle, wer ich als Mutter bin, sondern darum, dass du eine Orientierung hast, wie du diese Frage für dich beantworten kannst. Diese Antwort steht nämlich einfach erstmal so für sich. Sie ist weder gut noch schlecht. Was ich persönlich als gut bezeichnen würde, könntest du als schwierig empfinden oder es kann in einer bestimmten Situation meines Lebens völlig unpassend sein, während es für dich total hilfreich ist. 

Das heißt, wenn wir die Frage wirklich in unseren Alltag mit reinnehmen und da immer wieder mal drauf schauen, wird aus dieser sehr grundlegenden Frage „Wer bin ich als Mutter?“ vielleicht eher ein „Welche Mutter braucht es gerade hier und jetzt?“ Um bei meinem Beispiel zu bleiben: „Braucht es die Führende, die Halt gibt, oder die Lustige, die Schärfe rausnimmt?“ Ich glaube, wenn uns das gelingt, dann lenken wir unseren Blick ganz bewusst auf den Moment, auf das, was es gerade braucht und was wir dafür mitbringen.

Das, was wir mitbringen, entsteht nicht alles erst, wenn wir Mutter werden. Es fühlt sich so an, ich weiß, weil all das, was da passiert, so neu ist. Aber so nackt wie wir uns anfangs fühlen, starten wir nicht in unsere Mutterschaft. Deshalb möchte ich dich als Nächstes mitnehmen in die Zeit vor deiner Mutterschaft, um zu schauen, was da schon alles vorhanden war. Die nächste Frage lautet somit:

 

Wer war ich damals, als ich noch kein Kind hatte?

Bevor wir uns das genauer anschauen, eine kurze Zwischenfrage: Wie geht es eigentlich dem Widerstand in dir, falls du anfangs einen verspürt hast? Inwiefern hat er sich verändert? Ich persönlich glaube, der Widerstand will eigentlich nur eins: Sichtbarkeit schaffen. Und zwar für zwei Dinge.

Einmal für das, was du tust, was du leistest, was du gibst – Tag für Tag als Mutter. 

Und dann möchte er Sichtbarkeit schaffen für das, was AUCH NOCH in dir schlummert. All die Anteile, die vorher schon da waren, aber im Moment vielleicht einfach zu kurz kommen, weil die Mutterrolle soviel Platz einnimmt. Und deshalb schauen wir jetzt einfach mal, wer du damals alles warst, als du noch kein Kind hattest.

In dieser Zeit liegt vielleicht das Eine oder Andere, das dir so gar nicht bewusst ist und das du wieder mehr für dich nutzen möchtest, weil es einfach immer noch wichtig und bedeutsam ist für dich.

Die folgende kleine Gedankenreise kannst du dir hier auch kurz anhören, wenn du das lieber möchtest:

 

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Machen wir eine kleine Zeitreise in die Zeit, bevor du Mutter wurdest und Kinder vielleicht auch noch gar kein Thema waren. Falls du die Möglichkeit hast, kurz die Augen zu schließen, dann mach das gerne, um dich voll und ganz darauf konzentrieren zu können.

Denk an eine beliebige, für dich schöne und angenehme Situation aus dieser Zeit. Das darf eine ganz einfache Situation aus deinem damaligen Alltag sein oder auch ein bestimmtes Ereignis. Nimm einfach das, was dir gerade in den Sinn kommt. Hier gibt es kein Falsch oder Richtig. 

Du kannst gerne ein paar tiefe Atemzüge nehmen. Gib dir Zeit, in der Situation anzukommen. 

Wenn du dir die Situation vorstellst:

  • Wo bist du genau? Bist du irgendwo drinnen oder draußen?
  • Was machst du jetzt gerade in dieser Situation? 
  • Und mit wem? Oder bist du allein?
  • Schau dich ruhig um und beobachte, was du alles wahrnimmst: was siehst du? 
  • Was hörst du? 
  • Welche Geräusche umgeben dich oder herrscht vollkommene Stille? 
  • Was riechst du? Gibt es irgendwelche Gerüche, die du wahrnimmst?
  • Lenke nun deinen Blick vom Außen auf dein Inneres: welches Gefühl nimmst du als erstes wahr? Ist es vielleicht Freude oder Glück? Spürst du sowas wie Leichtigkeit oder Gelassenheit? Oder ist es eher eine Art Geborgenheit?

Bleibe einen Moment bei diesem Gefühl, das sich in dir breit macht. Wo spürst du es in deinem Körper? Mehr in der Bauchgegend oder in der Brust? Oder vielleicht ganz woanders? Wenn du eine Stelle benennen kannst, dann leg einfach mal eine Hand darauf. Wenn das Gefühl eher im ganzen Körper ist, dann leg deine Hand ruhig auf deinen Bauch. Nimm ein paar tiefe Atemzüge. Atme ein und aus. Ein und aus. Und nimm wahr, wie dein Bauch sich hebt und wieder senkt.

Wenn du jetzt, voll mit diesem guten Gefühl, auf DICH in der Situation von damals schaust: was kannst du an dir erkennen? Was macht dich aus? Wer bist du da? Welche besonderen Eigenschaften würde dir jemand zuschreiben, der dich richtig gut kennt und gerne mag? Ich lasse dir einen kleinen Moment Zeit, damit du dir diese Fragen beantworten kannst.

Und nun nimm ein paar tiefe Atemzüge und komm dann allmählich wieder im Hier und Jetzt an. Vielleicht magst du dich auch ganz kurz ausschütteln von oben bis unten. 

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Wenn du dir die Situation aus dem Hier und Jetzt nochmal anschaust, dann kann es sein, dass dir bestimmte Anteile auffallen, die aktuell gar keine große Rolle spielen. Das können Eigenschaften oder Fähigkeiten sein, aber auch Hoffnungen oder Wünsche, die du im Laufe der Zeit aus den Augen verloren hast. Das heißt aber nicht automatisch, dass sie für dich keine Bedeutung mehr haben. 

Deshalb ist die Frage:

  • Welcher dieser Anteile fehlt dir?
  • Was möchtest du gerne wieder aufleben lassen?
  • Was soll wieder Teil deines Lebens, Teil von dir sein?

Und andersrum gefragt: Was davon wirst du in Zukunft nicht mehr brauchen? Denn nicht alles, was wir mal waren, müssen wir auch weiterhin sein. Ein ganz einfaches Beispiel dazu: ich bin früher, bevor ich Mutter wurde, eine Zeit lang mal richtig viel gelaufen, habe sogar an einem Halbmarathon und ein paar 10km-Läufen teilgenommen. Das war damals ein ganz wichtiger Teil von mir. Aus heutiger Sicht weiß ich, dass das damals gut und richtig war, aber dass ich das so in der Form nicht mehr bin und auch keinerlei Ambitionen habe, wieder daran anzuknüpfen. 

Ich habe mir einige Zeit lang das Leben damit schwer gemacht, dass ich ja unbedingt wieder da hin möchte, was aber aufgrund des Schlafmangels und sehr kuschelbedürftigen Babys ein Ding der Unmöglichkeit war. Irgendwann habe ich erkannt, dass es nur mein Verstand ist, der das möchte. Mein Herz will das nicht mehr. 

Dafür vermisse ich es bspw. mittlerweile sehr, dass ich nicht mehr Musik mache. Ich habe drei Instrumente gelernt und eines davon richtig gut. Tatsächlich liebäugle ich seit ein paar Wochen mit dem Gedanken, meine Geige unter dem Bett hervorzuholen und nach vielen vielen Jahren wieder zu spielen, vielleicht sogar Unterricht zu nehmen.

Und damit sind wir bei der letzten Frage:

 

Wer möchte ich noch sein?

Das klingt jetzt ein bisschen nach „höher, schneller, weiter“, nach Optimierung und so. Aber nein, darum geht es nicht. Stell dir einfach mal vor: in deinem inneren Team ist eine Stelle frei geworden. Vielleicht weil du einen älteren Anteil von dir eben verabschiedet hast. Auf was hättest du denn so richtig Bock? Was würdest du gerne mal ausprobieren, um zu schauen, ob es für dich passt?

Es muss übrigens nicht unbedingt ein neues Hobby sein, das du dir zulegst. Das kann auch eine einzelne Aktion sein wie einmal alleine auf ein Konzert oder eine Ausstellung gehen. Oder eine Freundin anrufen, die du länger nicht mehr gesprochen hast. Oder du fährst mal eine andere Route als die gewohnte in die Arbeit/zur Schule/zum Kindergarten… Also, bewusst die Routinen, die du im Alltag geschaffen hast, an einzelnen Stellen aufzubrechen und neue Dinge auszuprobieren. Und es geht wirklich um EINZELNE Stellen und nicht darum, deinen kompletten Alltag auf den Kopf zu stellen.

Im Übrigen muss nicht alles, was du ausprobierst, sofort funktionieren oder immer ein tolles Ergebnis hervorbringen. Wir sind da in meinen Augen oft viel zu ergebnisorientiert und geben dem, was wir tun, erst dann einen Wert, wenn etwas dabei rausgekommen ist. Dabei ist es das Wichtigste, wieder zu SPÜREN, was dir gefällt und was nicht. Wo dein Herz aufgeregt hüpft und wo es eher unbeteiligt bleibt. Weil du damit auch wieder in Kontakt zu dir selbst kommst. Mit Teilen von dir, die mit dir als Mutter gerade wenig bis gar nichts zu tun haben. Die dir aber trotzdem Kraft geben, dich bestärken und dir einfach gut tun.

All diese Fragen wie „Wer bin ich als Mutter?“ oder „Wer bin ich noch?“ oder „Wer möchte ich sein?“ können alle zu ein und derselben Antwort führen:

„Ich bin ein Mensch. Ein Mensch mit einer einzigartigen Geschichte.
Ein Mensch mit verschiedenen Rollen, die Erwartungen und Ansprüche mit sich bringen,
die mit meinen Bedürfnissen immer wieder mal im Konflikt stehen können.
Für die ich Ressourcen brauche, die mal mehr mal weniger da sind.
Ich habe Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen.
All das macht mich aus und noch so vieles mehr.
Ich BIN.

 


Zum Abschluss möchte ich dir ganz konkrete Fragen mitgeben, die du dir jetzt oder in einer ruhigen Minute beantworten kannst. Da ich in diesem Beitrag schon einige Fragen gestellt habe, belasse ich es nun bei einer Einzelnen:

Welchem Teil in dir möchtest du in der nächsten Zeit mehr Aufmerksamkeit schenken und wie könnte das ganz konkret für die nächsten 3-4 Wochen aussehen?

Vielleicht magst du dir ein paar Gedanken dazu aufschreiben. Ich wünsche dir jedenfalls spannende Erkenntnisse und freue mich, wenn du sie mit mir teilst.

 

Bleibt rosa.
Eure Ramona